Ulrich Plieschnig: Malerei

Galerie Hametner, Stoob (Burgenland)

2. Juni 2018

Ulrich Plieschnig ist ein Künstler der Gegensätze: er malt ohne Pinsel, macht Schüttbilder ohne zu Klecksen. Seine Arbeitsweise ist kontrolliert unkontrolliert, seine Bilder zugleich von erhabenem Ernst und heiterer Leichtigkeit.

Ich möchte mit dem Malen ohne Pinsel beginnen:

Plieschnig schüttet mit Terpentin verdünnte Ölfarben auf die flach liegende Leinwand und lässt sie dann durch sachtes Kippen verrinnen. Dabei sind sowohl das Schütten als auch das Kippen bzw. Farbauftrag und –verteilung hoch konzentrierte, kontrollierte Vorgänge, die weit mehr mit den meditativen Übungen eines Zen-Buddhisten zu tun haben als mit den explosiven, gestischen Schüttbildern des Wiener Aktionismus. Hier wird nicht Spannung entladen sondern Spannung gehalten und damit auch auf das Bild übertragen. Vorsichtig wird die Farbe auf die Leinwand gegossen, sachte wird der Bildträger angehoben – nicht zu viel und nicht zu wenig – um die Farbe gezielt zum Verrinnen zu bringen. So wird Farbschicht um Farbschicht aufgetragen. Eine durchaus langwierige Arbeitsweise, die bedingt, dass der Künstler meist an mehreren Bildern parallel arbeitet, da der Trocknungsprozess jeder Farbschicht seine Zeit einfordert und verhindert, dass ein Bild schnell fertig sein kann. In dieser Langwierigkeit und Konzentriertheit entsteht Nacht für Nacht (denn Plieschnig arbeitet stets nachts) jene – nicht nur formale – Vielschichtigkeit, in der die Farben verschwimmen und verrinnen, das Über- und Unter-, Vor- und Hintereinander im Wechsel von opaken und durchscheinenden Zonen den Blick verstrickt.

An sich alles kontrollierte, präzise Handarbeit – wäre da nicht die Geschichte mit der Materie, der Physik und dem Zufall, die die Bilder manchmal miterzählt. Und das ist vom Künstler durchaus auch so gewünscht.

 

Zu dieser kontrolliert unkontrollierten Arbeitsweise sowie auch zu seiner reduzierten Farbpalette, die sich auf  Indigo, Ocker, Blau, Schwarz, Grau, Weiß und Orange beschränkt, ist Plieschnig erst nach seinem Studium bei Walter Eckert und Markus Prachensky an der Akademie der Bildenden Künste in Wien durch einen 2-jährigen Aufenthalt in New York Ende der 1980er Jahre gekommen. An der Akademie hatte Plieschnig zunächst sehr bunte, expressive, archaisch wirkende Figuren gezeichnet und gemalt. Im Laufe des Studiums lösten sich die Linien immer mehr in Flächen auf, die jedoch auch noch stark buntfarbig waren.

Die Reduktion der Farben in NY mag, so mutmaßt Plieschnig selbst, an den unendlichen Eindrücken der flirrenden, niemals ruhenden Großstadt gelegen sein, in der er in einer Sehnsucht nach Ordnung und Ruhe immer mehr Farben weggelassen hat, bis die seither für ihn so typische Farbauswahl übriggeblieben ist. Nicht nur die Farben, auch die Formen in seinen Bildern wurden reduzierter, ruhiger, größer. Damals hat Plieschnig die Farben noch mit dem Pinsel aufgetragen, bis er sich selbst gefragt hat, wozu er die – schon damals stark verdünnte Ölfarbe erst mühsam mit dem Pinsel aufnimmt, um sie auf die Leinwand zu bringen, statt sie einfach direkt aufzuschütten. Reduktion der Farben, Formen und Mittel.

Auch wenn Plieschnig kein gegenständlicher Maler ist, so ist die sichtbare und unsichtbare Welt, die ihn umgibt doch die wichtigste Inspiration für ihn – wie auch durch die Zäsur von New York deutlich wird. Seine Bilder sind keine direkt entschlüsselbaren oder konkret übersetzbare Abstraktionen des Gesehenen, Erlebten und Gefühlten, und doch haben sie ganz direkt damit zu tun, steckt in jedem Bild etwas Essenzielles, etwas allgemein Gültiges, Wahres. Was Plieschnig malt, ist nicht beliebig oder irrelevant. Es ist eine hochpersönliche und intime Übersetzung der sichtbaren und unsichtbaren Welt in Bilder, ein authentisches, künstlerisches Ausdrücken jenseits von Intellekt und Ratio.

Plieschnig liebt die Welt, er ist fasziniert von all ihren Facetten, geht mit einer Offenheit durch das Leben und schaut sich neugierig um. Schon als junger Bursche, so hat er mir erzählt, hat ihn die Schönheit der Natur in seiner Heimat, dem Kärntner Gurktal, fasziniert. Während seine Freunde Fußball spielten, ist er lieber am Spielfeldrand gesessen und hat die umgebende Natur bewundert und schon damals probiert, sie zu malen. Allerdings schon damals nicht im Sinne von abmalen oder kopieren, sondern sie in ihrem Wesen, ihrer Essenz zu erfassen und abzubilden. Bis heute hat sich an dieser Intention nicht viel geändert.

Diese Liebe zur Natur und Neugier auf das Leben und die Welt und die Menschen, Gerüche, Farben, Geschmäcker, Kulturen in ihr haben ihn weit reisen lassen. Fast 10 Jahre lang ist er vor den langen österreichischen Wintern in die südliche Hemisphäre geflüchtet und hat Monate in Indien, Australien, Japan, Brasilien und vielen anderen Ländern verbracht. Jede Erfahrung hat – wenn auch unbewusst – ihre Spuren in seinem Schaffen hinterlassen, sich genau so essenziell in sein Werk wie in ihn selbst eingeschrieben.

Trotzdem sind (außer in NY) kaum Zäsuren in Plieschnigs Werk auszumachen – seine Malerei entwickelt sich organisch wie das Leben selbst.

Plieschnig gießt das Leben als Farbe auf die Leinwand und lässt es dann in seine Bahnen rinnen. Wie für das „echte“ Leben gibt es auch für die Farbe auf der Leinwand einen Plan. Eine Vorstellung davon, wie sie verlaufen sollte und wohin sie führen soll. Oft klappt tatsächlich alles so wie erwartet, da fließt es richtig. Aber manchmal läuft etwas schief – oder zu schnell, zu langsam, zu dicht, zu dünn, verrinnt sich in Umwegen statt in geraden Bahnen oder in Nebenwegen statt einem Hauptweg. Ja, das stört. Im Leben, wie in der Kunst. Aber wie im Leben bleibt auch in der Kunst nichts anderes übrig, als sich den neuen Umständen anzupassen, sich darauf einzustellen und damit umzugehen. Manchmal geht das erstaunlich einfach oder bringt der „Fehler“ gar erst richtig Schwung in die Sache. Andere Male ist es schwieriger, muss durch eine ungeplante „Wendung“ das ganze Bild/Leben selbst um 180° gewendet werden und entsteht etwas völlig anderes, als man sich das ursprünglich vorgestellt hatte.

Man könnte Plieschnigs Arbeiten also als Metapher auf das Leben beschreiben.

Das Ergebnis dieser Lebens- und Arbeitsweise sind Bilder, die eine ernste, seriöse Ausstrahlung haben. Das mag einerseits an den großen, ruhigen, organischen Formen liegen, andererseits an der reduzierten Farbpalette. Und es hat ganz sicher auch mit der Ernsthaftigkeit zu tun, mit der Plieschnig seine Kunst schafft. Mit der unabdingbaren Notwendigkeit, die Kunst machen für ihn hat und der Konzentriertheit, mit der er sich dem widmet. Was er da produziert ist kein Spaß, das ist kein beliebiges Farbgepansche, sondern Plieschnigs dringliche Auseinandersetzung mit der Welt.

Den konzetrierten, beinahe meditativen Zustand, in den Plieschnig dabei verfällt, beschreibt er folgendermaßen:

„Ich tauche während eines intensiven Malprozesses tatsächlich ein in eine andere Welt, vergesse alle rund um mich herum, Zeit und Raum lösen sich auf. Es ist ein wahres Glücksgefühl, Farben und Formen entstehen wie von selbst, bis es mich irgendwann hinauskatapultiert aus dieser geschützten Atmosphäre, bis ich an irgendeiner Linie oder einer nicht nach meinem Wunsch rinnenden Farbe hängenbleibe und jäh aufwache, um kurz danach wieder hineinzufallen…so wird es oft genug 3 Uhr morgens, 4 Uhr, 5 Uhr und im Sommer erinnern mich die zu zwitschern beginnenden Vögel aus dem Innenhof daran, dass es Zeit wird, Schluß zu machen und mich zur Ruhe zu begeben.“

In der Ruhe und Konzentriertheit, und auch in diesem unabdingbar Authentischen und Essenziellen liegt beinahe eine Art Heiligkeit, eine Magie, eine übergeordnete und doch persönliche Wahrheit.

 

Aber so viel Ernsthaftigkeit, Spannung, Meditation, Essenz kommt leicht in Gefahr, dem Pathos anheim zu fallen. Und ein Pathet ist Plieschnig nicht. Dann schon eher ein Schelm. Und auch der blitzt aus seinen Werken immer wieder hervor, wenn auch erst auf den zweiten Blick bzw. beim Lesen des Bildtitels. Denn so erhaben und großartig die Natur und das Leben per se auch sein mögen, so komisch, überraschend und schräg geht es darin manchmal trotzdem zu – auch das ist ein Teil des Ganzen. Bei aller Seriosität in der Darstellung, nimmt sich Plieschnig bei der Betitelung seiner Werke die Freiheit, den Betrachter auch mal vor den Kopf zu stoßen, zu überraschen oder zum Schmunzeln zu bringen.  Die Bildtitel selbst sind wiederum Produkt eines kreativen Aktes, sie entstehen mittels freier Assoziation: „Der Titel kann mit einer Form auf dem Bild zu tun haben, mit einer bestimmten Farbe oder mit der Musik, die ich während des Malens gehört hatte, genauso gut aber auch mit dem Gespräch, das ich auf dem Weg ins Atelier mit der Hausmeisterin führte oder mit einem Freund am Telefon.“

 

So vielfältig wie die Assoziatonsmöglichkeiten sind folglich auch die Titel, und es ist keineswegs ausgeschlossen, dass ein Bild am Ende „baby-ghost, just grown up“ oder „Feuer in der Sauerkrautfabrik“ heißt. Und das stellt dann doch einen massiven Bruch dar zu der Ernsthaftigkeit und Seriosität, die Plieschnigs Werke ausstrahlen.

 

Das Schöne ist, dass durch die Betitelung nichts von der vorher erwähnten Magie und Erhabenheit der Bilder verloren geht, sondern nur noch etwas dazu kommt. Das unaussprechlich Essenzielle und die energiegeladene Ruhe bleiben vollständig erhalten. Durch die Titel kommt nur noch etwas hinzu – eine Note, die das Herz leicht und den Kopf frei macht. Aus ihnen spricht die Einstellung, nicht immer alles so ernst zu nehmen, aus ihnen spricht die Freiheitsliebe, Konventionen zu brechen und um die Ecke denken zu dürfen.

 

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Erkunden der Ausstellung und beim Um-die-Ecke-Denken und -Schauen.