Die keramischen Figuren von Benjamin Nachtigall haben diese Probleme nicht. Das ist aber auch kein Wunder, wenn man statt einem Kopf ein Erdbeere oder Artischocke auf den Schultern sitzen hat. Nachtigall zeigt uns, was wir ebenfalls alle kennen – die Momente, in denen man quasi kopflos durch die Gegend spaziert, selbstvergessen ins Narrenkastl starrt und das Hirn auf Durchzug geschaltet ist. Seine Figuren sind zuweilen auch in Situationen oder bei „Tätigkeiten“ dargestellt, die einen – wenn auch unabsichtlich – besonders leicht in einen solchen Alphazustand versetzen können: ein Tier streicheln, in die Natur gehen, sich der Völlerei hingeben, am Smartphone daddeln.
Nachtigalls Protagonisten sind – nicht zuletzt aufgrund der Technologie, mit der einige von ihnen ausgestattet sind – eindeutig der Jetztzeit zuzuordnen. Werkstoff und Herstellungsverfahren zählen jedoch zu den ältesten der Menschheit. Frech bricht Nachtigall die Sehgewohnheiten und Erwartungen an fein glasierte Keramik und spannt zwischen Material und Inhalt einen weiten Bogen von der Urgeschichte direkt ins Heute. Stellt der Ton, aus dem die modernen Figuren gemacht sind, ihre Sehnsucht nach mehr Verbundenheit mit der Natur dar? Oder ist er eine Rückbindung an unsere archaischen Vorfahren? Sind sie deswegen auch nackt? – weil uns – trotz aller technischen Errungenschaften – im Grunde nicht viel von unseren Urahnen unterscheidet? Oder liegt es daran, dass Nachtigall jene entspannten Momente darstellt, in denen wir ganz nackt, ohne Maske sind – wo wir plötzlich alle so gleich sind, dass man uns statt unseres individuellen Kopfes auch einfach eine Frucht aufsetzen könnte?
Möchte man eine Verbindung zwischen den Arbeiten von Stefan Zsaitsits und Benjamin Nachtigall finden, so könnte man sagen, dass sich beide mit dem Verstand befassen, oder eigentlich bessergesagt mit dem, was uns den Verstand raubt. Bei Zsaitsits sind das unsere Ängste und Sorgen. Bei Nachtigall ist es das genaue Gegenteil, die Ablenkung, die den Verstand zuweilen vernebelt und die Auseinandersetzung mit unseren Problemen hintanstellt. So kann man die Arbeiten als zwei Pole betrachten, zwischen denen wohl wir alle unser Leben lang hin und her pendeln: zwischen der Auseinandersetzung mit unseren Ängsten und Problemen am einen Ende des Spektrums und der Ablenkung davon am anderen. Für ein lebbares Leben brauchen wir wohl von beidem etwas.