Johann Julian Taupe: Traces

Galerie Gerersdorfer, Wien

8. März 2018

Guten Abend! Zu allererst möchte ich mich ganz herzlich bedanken, dass ich heute Abend hier sprechen darf. Danke an Johann Julian Taupe, Horst und Doris Gerersdorfer.

 

Johann Julian Taupe ist ein Maler, der gerne und viel produziert, jedoch weniger gerne und viel darüber spricht. Das ist aber keine Strategie, mit der er eine geheimnisvolle, undurchschaubare Aura um seine Bilder aufbauen will oder den Betrachter im Trüben fischen lassen möchte. Dass er nicht viel über sein Schaffen zu sagen hat, liegt eher daran, dass er selbst nicht so genau weiß, warum er das macht, was er macht. Er sagt z.B. „Manchmal habe ich das Gefühl, ich habe über die Leinwand nur bis zum ersten Pinselstrich die Macht, dann beginnt sie selbst zu leben und schreibt mir die weiteren Schritte vor. Nach und nach ergibt sich ein Bild, das natürlich in mir gewachsen ist, das aber von der Leinwand wie von einem Spiegel reflektiert wird“.

Taupe

Er weiß also selbst nicht so genau, was er da tut und warum. Aber er weiß, dass er es tun muss. Malen ist für ihn eine Notwendigkeit. Schon als Jugendlichen hat es ihn wie magisch angezogen, vom elterlichen Bauernhof schließlich bis zum Kunststudium nach Wien – nicht unbedingt der vorgezeichnete Lebensweg. Aber der (nach)gezeichnete. Malerei war keine Entscheidung, sondern immer schon ein Teil von Taupe. Bis heute sichert sie ihm das Überleben – nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch in jeder anderen.

Auch wenn Johann Julian Taupe nicht genau sagen kann, warum er so malt, wie er malt und ihm selbst manches rätselhaft bleibt an seinen Bildern, hat seine Malerei natürlich – und ganz unweigerlich – mit ihm selbst als Person zu tun, mit seinem Erleben und seiner Umwelt. So sagt er, malen sei für ihn ein fortwährender Prozess, ein Ausdruck seiner Erfahrungen und Eindrücke.

Das alles geschieht jedoch auf einer unbewussten Ebene, es ist ein absichtsloses Geschehen lassen, ein sich der Malerei und dem Ausdruck Hingeben, das sich jenseits des Intellekts abspielt.

Ich habe Taupes Oeuvre einmal als die „Landkarte seines Lebens“ bezeichnet, die er beständig erweitert. Tatsächlich steht bei ihm jedes Bild für sich, ist in sich geschlossen und abgeschlossen. Und doch wirken seine Malereien wie bildnerische Fortsetzungsromane. Sie sind zwar jedes einzeln und für sich, und doch kommen sie aus einem größeren Zusammenhang, in den sie jederzeit mühelos wieder eingebettet werden könnten. So wie man einen Tag als abgeschlossene Einheit definieren kann, viele Tage zusammen aber ein Leben ergeben. Traces. Spuren, Pfade, Linien. Was Taupe malt, sind seine Lebenslinien, Lebensfarben und Lebensformen.

Er malt also aus einer inneren Notwendigkeit heraus, aber auch aus reiner Liebe zur Malerei. Aus Freude und Interesse an Farbe und Fläche, Schichtung und Raum, Relation und Komposition. Er malt, um bildnerische Probleme zu lösen, immer besser zu werden, mit dem Ziel, Bilder zu schaffen, die, wie er sagt „passen“ oder „richtig sind“.

Warum und wann sie richtig sind, kann Taupe wiederum nicht erklären. Es gibt keine vorgeschriebenen, in Worte fassbare Parameter, die hier angewandt werden. Es ist das Taupe-Prinzip, dem seine Bilder genügen müssen. Und dieses Prinzip umfasst unterschiedlichste Ausdrucksweisen: Annähernd geometrische Ordnungen mit klar gegeneinander abgegrenzten Farbflächen kommen darin genau so vor, wie in- und übereinandergreifende, ausufernde, verwischte Farben und Formen. Einmal ruhig, klar und glatt, dann wieder pastos, grob, verschmiert. Einmal großflächig und weit, dann wieder kleinteilig und fein. Einmal in der Bildmitte zentriert, dann wieder an den Rand verschoben. Das Vokabular ist also durchaus unterschiedlich, und doch erkennt man „einen Taupe“ sofort als einen Taupe. Denn bei aller Vielfalt haben seine Bilder etwas gemeinsam: den Maler. Und so gehorchen sie alle dem Taupe-Prinzip, dessen Regeln auf einer unaussprechlichen Ebene entstehen. Sie sind im Sehnerv Taupes verankert, oder in seinem Gefühl, seinem Bauch, seinem Gedächtnis, seiner malenden Hand. Es sind aus ihm kommende, ihm ganz logisch und doch unaussprechlich scheinende Regeln oder Grundsätze, die hier zur Anwendung kommen.

Die Frage: „Warum malst du, wie du malst?“ stelle ich mir ähnlich schwierig zu beantworten vor, wie wenn mich jemand fragen würde: „Warum verdaust du mit dem Magen und nicht mit der Nase?“ Oder „Warum klingt dein Lachen so wie es klingt?“

Ich denke, so ähnlich geht es auch Taupe, wenn er über seine Malerei reden soll. Er macht sie. Er malt, bis das Bild richtig ist. Für ihn richtig ist.

 

Und dann hat Taupe doch etwas zu sagen: nämlich, dass er ein ungegenständlicher Maler ist. Er geht nicht von Gegenständen unserer optisch wahrnehmbaren Umwelt aus, die er abstrahiert, sondern die Formen entstehen völlig unmimetisch, man könnte sagen, aus sich selbst heraus bzw. aus ihm selbst heraus. Durch Zufall entstehen dabei manchmal Kombinationen von Formen und Farben, die beim Betrachter – und auch bei Taupe selbst – durchaus Assoziationen zu konkreten Gegenständen oder Landschaftsdarstellungen hervorrufen. Gegen derlei Interpretationen verwehrt sich Taupe keineswegs. Er ist ein ungegenständlicher Maler, aber das heißt nicht, dass dabei ausschließlich ungegenständliche Bilder entstehen müssen. Jegliche Konkretisierung ist zwar unbeabsichtigt, aber nicht verboten.

Überhaupt ist bei Taupe für den Betrachter nichts verboten. Es gibt keine Vorgaben, was man im Bild zu sehen hat und was nicht. Taupe ist kein diktatorischer Künstler, der den Konsumenten seiner Bilder Vorgaben zu deren Interpretation macht. Er lässt Betrachtern und auch Kunsthistorikerinnen die vollkommene Deutungsfreiheit. Jeder hat recht mit dem, was er in den Bildern wiederfindet. Ich habe Taupe recht provokant gefragt, ob er auch keinen Widerspruch einlegen würde, wenn ich in dieser Rede sagen würde, er reflektiere in seinen Bildern über die Beziehung von Kaiser Franz Joseph und Katharina Schratt. Er würde mir auch darin rechtgeben, hat er versichert. Also: Glauben Sie mir kein Wort – ich könnte Ihnen hier das Blaue vom Himmel erzählen – und vielleicht tu ich das ja auch… Aber trotzdem hätte ich damit recht! 😉

 

Diese Deutungshoheit jedes einzelnen ist einerseits angenehm. Man braucht sich nicht fürchten, verurteilt zu werden (zumindest nicht vom Künstler), wenn man in einem dezidiert ungegenständlichen Bild ein Krokodil entdeckt oder ein Haus oder einen Baum. Man kann sich ganz entspannt die Ausstellung anschauen und ohne jedweden intellektuellen Druck die Bilder auf sich wirken lassen, sich an der Heiterkeit der strahlenden Farben erfreuen. Es steht einem aber genau so frei, sich in kunsttheoretischen Diskursen zu ergehen oder philosophische Zusammenhänge herzustellen.

 

Aber zugleich kann derart viel Freiheit auch beängstigend sein. Keine Vorgaben, kein Rahmen, kein Leitfaden zur Interpretation – ja nicht einmal ein Titel! Und dann hat man das Glück, dem Künstler persönlich zu begegnen, und der sagt einem dann auch noch, dass er einem da leider auch nicht weiterhelfen könne… Wie unbehaglich – da muss man sich sein Bild vom Bild ja ganz alleine machen!

 

Diese Dualität von Freiheit führt zu einem weiten Interpretations- und Gefühlsspektrum, das sich auch in der Literatur über Taupes Schaffen widerspiegelt. So spricht Thomas Zaunschirm davon, dass Taupes Bilder zunächst einen lautlosen Schrecken verbreiten, weil man sich an nichts erinnert. Gabriele Boesch hingegen nennt sie eine „Wohltat für die Augen und die Seele“, die einen durch nichts einengen oder nötigen.

 

Ja, man könnte sagen, Taupe mutet es uns zu, ganz alleine draufkommen zu müssen, was wir in seinen Bildern sehen. Er mutet es uns zu, aber es traut es uns auch zu! Er hat das Vertrauen, dass wir das können, dass wir das schon schaffen werden.

 

Die Werke von Johann Julian Taupe laden den Betrachter ein, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und genau das mag auch der Grund dafür sein, warum sie manch einem eher „unheimlich“ erscheinen, während ein anderer sie als „angenehm“ empfindet. Der Betrachter wird auf sich selbst zurückgeworfen und empfindet genau das, je nach Situation und (Tages-)Verfassung, eher als angenehm oder bedrohlich – oder vielleicht auch als beides zugleich. 

Taupe zieht seine Linien, legt seine Spuren auf die Leinwand, und macht uns dabei zu Fährten-Lesern (unserer selbst). In Taupes Bildern können wir uns selbst auf die Spur kommen.