Kelag-Schaukraftwerk Forstsee, Kärnten
18.5.2017
Es scheint einen direkten Zusammenhang zwischen Ulrich Plieschnig und der österreichischen Stromversorgung zu geben. Zum ersten Mal persönlich getroffen habe ich ihn nämlich, als er an einen Gruppenausstellung mit dem Titel „Umspannwerk“ teilgenommen hat. Und jetzt darf ich seine Ausstellung im Schaukraftwerk der kelag eröffnen. Das kann doch kein Zufall sein, dieser zweimalige Zusammenhang mit Energie, Spannung, Transformation: einmal Umspannwerk, einmal Kraftwerk, das sind jetzt nicht gerade sehr kunsttypische Worte bzw. Orte. Ich habe mich gefragt, wie das mit Plieschnig und seiner Kunst zusammenpasst, – und eigentlich ist die Antwort so offensichtlich, dass es mir fast platt vorkommt, die folgende Metapher auszusprechen – ich muss es aber tun, weil sie einfach so zutreffend ist: Plieschnig ist selbst ein Kraftwerk. Ein Kraftwerk kreativer Energie, das alle, die wollen, bereitwillig mit Kunst, Kreativität, Wärme, Inspiration, Witz, Esprit, Energie, Authentizität, Ermutigung, (Ent)spannung versorgt.
Da das jetzt doch alles sehr überschwänglich klingt, möchte ich Ihnen gerne näherbringen, wie ich zu dieser Einschätzung komme und woraus sie sich nährt.
Beginnen wir am besten bei den Bildern – die ja der Grund sind, warum wir heute alle hier sind. Plieschnigs Bilder haben nichts Aufgeregtes oder Überdrehtes an sich. Sie sind ruhig, reduziert und konzentriert. Sie wirken eher ernst als witzig, eher seriös als verspielt. Plieschnig erschafft sie in langen Nächten in seinem Atelier, in denen er in einen beinahe meditativen Zustand verfällt, von dem mir in ähnlicher Form auch andere Künstler immer wieder berichten – und um den ich sie offengestanden sehr beneide. Plieschnig beschreibt diesen Zustand folgendermaßen:
Ich tauche während eines intensiven Malprozesses tatsächlich ein in eine andere Welt, vergesse alle rund um mich herum, Zeit und Raum lösen sich auf. Es ist ein wahres Glücksgefühl, Farben und Formen entstehen wie von selbst, bis es mich irgendwann hinauskatapultiert aus dieser geschützten Atmosphäre, bis ich an irgendeiner Linie oder einer nicht nach meinem Wunsch rinnenden Farbe hängenbleibe und jäh aufwache, um kurz danach wieder hineinzufallen…so wird es oft genug 3 Uhr morgens, 4 Uhr, 5 Uhr und im Sommer erinnern mich die zu zwitschern beginnenden Vögel aus dem Innenhof daran, dass es Zeit wird, Schluß zu machen und mich zur Ruhe zu begeben.
In dem Zitat ist bereits kurz die rinnende Farbe zur Sprache gekommen. Plieschnig ist zwar Maler, hat aber 10 Jahre lang keinen Pinsel in der Hand gehabt. Er schüttet die mit Terpentin verdünnten Ölfarben auf die flach liegende Leinwand auf. Insofern könnte man sagen, Plieschnig macht Schüttbilder – aber da haben Sie sicher sofort eine explosive, eruptive Gestik à la Nietsch vor Ihrem inneren Auge. Plieschnig macht Schüttungen ganz anderer Art: Konzentriert und kontrolliert. Ist die Farbe so einmal auf die Leinwand gelangt folgt ihre Verteilung durch das sachte Kippen der Leinwand – ein weiterer Drahtseilakt, der eine ruhige Hand und das Ertragen von Spannung erfordert.
Seit einigen Jahren greift Plieschnig für den Farbauftrag durchaus auch wieder zum Pinsel, um große, ruhige, organische Formen aufzutragen. Doch das Rinnen der Farbe, sei es in kleinen Spuren oder großen Bahnen, spielt nach wie vor eine wichtige Rolle im Bildgeschehen und –entstehen. Die Farbe hat nämlich durchaus ein Wörtchen mitzureden in diesem Entstehungsprozess – der miteinkalkulierte Eigenwille der Substanz Farbe ist ein willkommener Gesprächspartner in Plieschnigs Dialog mit der Malerei. Wie weit lasse ich die Farbe rinnen, wird sie sich so verhalten, wie ich mir das vorstelle? Und wenn sie dann einen anderen Weg nimmt, als geplant, muss der Künstler reagieren – verändert sich die ursprünglich geplante Komposition, kommt hier eine Farbfläche hinzu oder muss das Bild plötzlich auf den Kopf gestellt werden, um wieder richtig zu werden.
Vielleicht fragen Sie sich jetzt, wie ein ungegenständliches Bild „richtig“ oder „falsch“ sein kann – das ist ja total beliebig und überhaupt, was soll das ganze, was malt der da eigentlich? Plieschnigs Bilder sind zwar nicht gegenständlich, aber sie haben trotzdem eine immanente Logik und Wahrheit, eine Sprache, die ganz genuin zu Plieschnig gehört. Sie kommt aus seinem Innersten, ist eine intuitive Übersetzung des Seins in Bilder. Und auch wenn nur Plieschnig, die Inspiration und die Farbe diese Sprache sprechen, so können wir sie doch alle verstehen, wenn wir uns darauf einlassen wollen. Denn Plieschnigs Bilder bringen etwas zum Ausdruck, das essenziell mit unserer Welt und dem Sein zu tun hat, etwas, das jeder von uns spüren kann. Was das ist? Ich kann es Ihnen nicht sagen – es entzieht sich der Möglichkeit, es in Worte zu fassen. Malerei kann ja Dinge erfahrbar und spürbar machen, die mit Sprache nicht ausgedrückt werden können – zumindest nicht alle Aspekte davon. An dieser Stelle könnte man natürlich Wittgensteins zitieren: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen.“
Da ich nun aber vor Ihnen stehe, um eine Rede zu halten, werde ich mich jetzt nicht in Schweigen hüllen, sondern möchte dem noch etwas hinzufügen: Was Plieschnig malt, ist nicht beliebig oder irrelevant. Es ist eine hochpersönliche und intime Übersetzung der sichtbaren und unsichtbaren Welt in Bilder, ein authentisches Ausdrücken von Inhalten abseits von Intellekt und Wissenschaft. In der Ruhe und Konzentriertheit, und auch in diesem unabdingbar Authentischen und Essenziellen liegt beinahe eine Art Heiligkeit, eine Magie, eine übergeordnete und doch persönliche Wahrheit.
Doch jetzt bin ich schon auf sehr dünnem Eis angekommen, wenn ich mit Begriffen wie Heiligkeit zu jonglieren beginne. Und bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich will damit nicht sagen, dass Ulrich Plieschnig ein Heiliger ist und – entschuldige, Ulrich – auch nicht, dass er ein Genie ist. Aber er hat den Kontakt zu etwas bewahrt, das in jedem von uns steckt, aber oft verschütt gegangen ist. Und er tut den Dienst eines Künstlers an der Gesellschaft und an sich selbst, dies auch auszudrücken. Nicht umsonst sagt Plieschnig, dass Kunst ein Lebensmittel für ihn ist.
Um von diesen ätherischen Sphären wieder zurück auf den Boden zu kommen, möchte ich nun über einen weiteren Aspekt von Plieschnigs Arbeiten sprechen: und zwar ihre Titel. Eigentlich findet er selbst ja, dass seine Bilder keine Titel brauchen. Er sagt:
„Grundsätzlich bin ich der Meinung, (meine) Bilder benötigen keine Titel, sie haben genug von sich heraus zu sagen. In meinem Mitteilungs- und Formulierungsdrang sprachlicher Art jedoch und der teilweise diagnostizierten Hilflosigkeit einiger Betrachter kann ich es nicht sein lassen, die Bilder in den meisten Fällen zu betiteln.“
Die Entstehungsgeschichte seiner Bildtitel beschreibt er folgendermaßen:
„Ich male, danach schaue ich mir das Bild an und lasse mir assoziativ einen Titel dazu einfallen. Dieser kann mit einer Form auf dem Bild zu tun haben, mit einer bestimmten Farbe oder mit der Musik, die ich während des Malens gehört hatte, genauso gut aber auch mit dem Gespräch, das ich auf dem Weg ins Atelier mit der Hausmeisterin führte oder mit einem Freund am Telefon.“
Plieschnig überlegt sich nicht vorab, was er malen möchte, denkt sich nicht einen Titel oder ein konkretes Bildthema aus, das er dann künstlerisch umsetzt, sondern er malt rein intuitiv, einzig mit dem Ziel, am Ende ein „richtiges“ Bild zu haben und sich an seinem Lebensmittel Kunst genährt zu haben. Das Betiteln stellt dann einen weiteren kreativen Akt dar.
Geht der Bildtitel auf eine Assoziation zu einer Farbe oder Form auf der Leinwand zurück, ist dies für den Betrachter meist recht offenkundig. Denn Plieschnig schreckt nicht davor zurück, bei seinen Titeln beinahe banal oder zumindest plakativ zu sein.
So ist im Bild oft ganz einfach zu finden, was Plieschnig zu einem Titel bewogen hat: Beim Bild „giant bubble“ beispielsweise, ist die große Blase, die wohl gemeint ist, schnell ausgemacht. Und auch die beiden, wohl zufriedenen, Formen in „happy couple“ und die Geister in „ghostland“. Oder die Leiter-artige Form im Bild „ladder“. Das freie Assoziieren zu Farben und Formen kann mitunter sogar zu ziemlich unerwarteten Titeln führen wie „Feuer in der Sauerkrautfabrik“. Und das stellt dann doch einen massiven Bruch dar zu der Ernsthaftigkeit und Seriosität, die Plieschnigs Bilder ausstrahlen.
Mit den Titeln bricht Plieschnig den unantastbaren, unnahbaren Nimbus, der von ungegenständlicher Kunst leicht ausgehen kann. Die verunsichernde Aura der ungegenständlichen Malerei wird vom Künstler selbst mit einem Streich weggewischt – und er darf das – er hat’s ja gemacht.
Ein „Problem“ und mitunter manchmal durchaus auch ein Ziel von zeitgenössischer Kunst ist ja, dass sie mitunter schwer zu verstehen ist, dass sie ungeübte Betrachter oft verunsichert oder verärgert zurücklässt mit dem Gefühl, etwas nicht verstanden oder nicht durchschaut zu haben. Dem wirkt Plieschnig durch seine Titel entgegen – sie sind wie eine offizielle Erlaubnis, sich zu entspannen. Er reicht dem Betrachter die Hand, wird vom Künstler zum Kunstvermittler und sagt: Es ist OK! Es ist in Ordnung in dem Bild „nur“ ein Leiter zu sehen, eine große Blase oder eine brennende Sauerkrautfabrik.
Lässt sich Plieschnig von äußeren Einflüssen wie Gesprächen oder Musik zu seinen Titeln inspirieren, so ist das für den Betrachter natürlich weniger leicht nachzuvollziehen. Aber weiß man einmal um ihre Genese mittels freier Assoziation, so werden Plieschnigs Bildbezeichnungen Einladungen zum Fabulieren. Denn die Bildtitel stellen interessanterweise keine Festlegungen dar – eine Gefahr, die durch Titel ja durchaus gegeben ist – sondern eher Möglichkeiten, Vorschläge.
Man fühlt sich inspiriert, vielleicht auch noch andere Formen und Farben im Bild zu entdecken und für sich zu benennen oder selbst einen Songtext oder ein persönliches Erlebnis damit zu assoziieren. Auch das kann in dem Bild stecken, selbst wenn es nicht sichtbar ist, nicht die Intention des Künstlers war und nicht die „ganze“ Wahrheit ist.
Plieschnigs Titel beziehen sich also auf einen von vielen Aspekten und Möglichkeiten in seinen Bildern. Das Schöne ist, dass durch die Betitelung nichts von der vorher erwähnten Magie der Bilder verloren geht, sondern nur noch etwas dazu kommt. Das Essenzielle, das ihnen anhaftet, die Ernsthaftigkeit, mit der der Herstellungsprozess vor sich geht, die kaum in Worte fassbare Transformation von Energie in bildende Kunst, die unbedingte Notwendigkeit, die das Malen für Plieschnig hat, die Intensität und Konzentriertheit des Schöpfungsprozesses, die unaussprechlichen Ebenen, das alles bleibt erhalten und wird durch die Titelgebung nicht geschmälert oder ausgelöscht. Der Titel ist jedoch eine weitere Ebene, die hinzugefügt wird und dem Unbeschreiblichen, das ja parallel bestehen bleibt, den Schrecken nimmt, es durch Witz, Poesie, Absurdität oder Bodenständigkeit bereichert und leichter verdaulich macht. Die Titel vervollständigen Plieschnigs Werk, aus ihnen spricht Humor und Esprit, sie geben dem Werk eine Note, die das Herz leicht und den Kopf frei macht. Aus ihnen spricht die Einstellung, nicht immer alles so ernst zu nehmen, aus ihnen spricht die Freiheitsliebe, Konventionen zu brechen und um die Ecke denken zu dürfen. Und zu guter Letzt verraten die Titel, dass sich Plieschnigs Kreativität nicht auf Farbe und Leinwand beschränkt, dass sein Künstler sein nicht nur im Atelier stattfindet, sondern viel mehr eine Art, zu leben ist, eine Art, durch die Welt zu gehen und sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Und bei Ihrer ganz persönlichen Auseinandersetzung mit Ulrich Plieschnigs Bildern wünsche ich Ihnen jetzt viel Spaß und einen schönen Abend. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!