seriellll

zs art galerie, Wien

18. Juni 2019

„Seriellll“ – die vier L im Ausstellungstitel verweisen mit einem Augenzwinkern auf ein Grundprinzip seriellen Arbeitens: Die Wiederholung gleicher Elemente.

Serialität ist eine Methode, die in sämtlichen Kunstarten Anwendung fand und findet: von der Musik über die Literatur bis zur Malerei, derentwegen wir ja heute Abend hier sind.

Serialität hat in allen Kunstformen mit Regeln zu tun.

In der Seriellen Musik wird beispielsweise ein rigides Regelwerk aufgestellt, das alle Parameter der Musik (wie Tonhöhe, Rhythmus, Tondauer, Lautstärke etc.) auf konstruierten Zahlen- und Proportionsreihen aufbaut und vernetzt. Jede Note der Komposition wird aufgrund dieses Regelwerks gesetzt, und zwar in der vordeterminierten Abfolge, also seriell. Ziel der Seriellen Musik war es, eine „musique pure“ zu schaffen, die frei von persönlichem Geschmack oder tradierten Kompositionstechniken ist. Das Ergebnis dieser totalen Organisation in der Komposition klingt interessanterweise dann so gar nicht nach dem, was man erwarten würde. Denn die Regeln verhindern bewusst Melodie und Rhythmus, an denen sich das Ohr festhalten könnte.

Alex Klein, Ausstellung "seriellll", ZS Art Galerie Wien, 2019. Foto: Stefan Seelig

Ganz anders in der Bildenden Kunst, wo ein gewisser Rhythmus ein typisches Erkennungsmerkmal einer Serie ist. Dieser kommt dadurch zustande, dass die einzelnen Bilder einer Serie durch Bildregeln miteinander verbunden sind. Es gibt Konstanten, Elemente, Motive, die wiederholt und/oder variiert werden. Man könnte sagen, in einer Serie geht es immer um das Gleiche, dabei aber auch immer genau um das, was am Gleichen ungleich ist. Es ist eine Variation des Gleichen. Die Serie zeichnet sich also durch die Unterschiede des Gleichen aus.

 

Serielles Arbeiten lässt es zu, sich mit einem einmal gefundenen Thema oder Bildvokabular immer wieder auseinanderzusetzen, darum zu kreisen, es bis in die Tiefe auszuloten und immer wieder Neues am Gleichen zu entdecken.

Roland Goeschl, Ausstellung "seriellll", ZS Art Galerie Wien, 2019. Foto: Stefan Seelig

Mit dem 2016 verstorbenen Roland Goeschl haben wir einen „Altmeister“ des geometrisch-seriellen Arbeitens vor uns. Er baute seine Bilder und Skulpturen aus streng geometrischen, seriell angeordneten Formen auf. Diese Formelemente variierte und rhythmisierte er innerbildlich z.B. durch kontinuierliche Veränderung der Größenverhältnisse, der Ausrichtung oder Position im Bild. Die einzelnen Elemente sind einfache, klare Grundformen, die erst in ihrer Kombination zu einer schillernden, dynamischen Gesamtkomposition werden. Eine wichtige Rolle für diese Wirkweise spielt auch der gezielte Einsatz von Farbe, wobei sich Goeschl auf die Primärfarben Rot, Blau und Gelb sowie die „Nicht-Farben“ Schwarz und Weiß beschränkte. Der Einsatz dieser Farben war genau so konsequent und logisch durchdacht, wie der der Formen. Form und Farbe bildeten für Goeschl eine Einheit – Farbe durfte nicht einfach willkürliche Koloration sein, sondern musste Material selbst werden, integraler Bestandteil eines streng durchdachten und geplanten Farb-Form-Gefüges. Durch das serielle Moment werden aus „einfachen“ Grundfarben und Grundformen Bildkompositionen und Skulpturen, deren Dynamik und Bewegtheit sich direkt auf die BetrachterInnen übertragen. In unseren Augen beginnen die Strukturen zu tanzen und wir selbst beginnen quasi auch zu tanzen, wenn wir der Struktur auf der Spur die Objekte umrunden.

Tonneke Sengers, Ausstellung "seriellll", ZS Art Galerie Wien, 2019. Foto: Stefan Seelig

Auch Tonneke Sengers, die für den heutigen Abend extra aus den Niederlanden angereist ist, arbeitet mit geometrischen Elementen, die sie oft aus dem architektonischen Raum generiert, der die Werke umgibt. Bei ihr ist das serielle Prinzip in zweifacher Hinsicht vorhanden – in jedem Bild für sich und in der Zusammenschau der Bilder. Im Fall der ausgestellten Serie gibt es z.B. ganz klar erkennbare, verbindende Bildregeln, das sind: die gleichbleibende Grundfläche, einige einfache Grundformen, mit denen diese Fläche befüllt wird, und eine streng beschränkte Farbpalette.

Das Aufstellen der Regeln ist dabei genau so ein elementarer Bestandteil des künstlerischen Aktes, wie die regelkonforme Umsetzung. Und auch wenn Tonneke Sengers sich in einem strengen System bewegt, so haben ihre Arbeiten doch etwas Spielerisches an sich – bedenken Sie, auch ein Spiel funktioniert nach Regeln! Gerade das enge Korsett wird zum Quell der Inspiration und trägt den spannungsreichen Gegensatz von Freiheit und Kontrolle in sich. Es ist ein künstlerisches Forschen und Tüfteln, die Freude an der Präzision, ein Ausloten der Möglichkeiten und Wirkungen.

Beim Betrachter können Tonneke Sengers Bilder Gehirnakrobatik auslösen, in erster Linie führen sie uns jedoch die Poesie der Geometrie und die Unbesiegbarkeit der Freiheit vor Augen.

Thomas Koch, Ausstellung "seriellll", ZS Art Galerie Wien, 2019. Foto: Stefan Seelig
In Thomas Kochs Werken stehen strenge geometrische Formen nicht im Vordergrund, sie sind jedoch bildprägender Hintergrund. Entweder malt er auf kleinen, viereckigen Leinwänden, oder er teilt sich eine große Leinwand durch ein serielles Raster in kleinere Einheiten auf. Die Darstellungen in den einzelnen Bildfeldern scheinen ungegenständliche Kompositionen zu sein, aber irgendwie kommen sie einem so seltsam bekannt und vertraut vor. Das liegt daran, dass Koch im Grunde ein gegenständlicher – wenn auch abstrakter – Maler ist. Seine Inspiration kommt immer aus der ihn umgebenden Umwelt, aus Alltagsgegenständen, die ihn immer und immer wieder beschäftigen. Sie werden abstrahiert, ihre Falten, Ecken, Linien studiert, mit Farben unterlegt, in ihr Innerstes vorgedrungen, bis sie ihr Geheimnis entfalten. Am Ende bleibt die dynamische Essenz des Dings im Bild vorhanden, die etwas in uns an das Ding selbst erinnert, es in uns anklingen lässt, ohne dass wir es tatsächlich erkennen. Manchmal aber arbeitet er auch mit dem konkreten Ding an sich, wie hier z.B. Buchrücken. Durch die rhytmisierte, serielle Anordnung enthebt er sie ihrer Funktion, abstrahiert sie in gewisser Weise – obwohl sie ja ganz konkret da sind – und gibt ihnen eine neue, zusätzliche Bedeutung.  Bei Koch haben wir wiederum zwei serielle Momente im Bild: einerseits das sich wiederholende Raster sowie insgesamt eine gewisse Rhythmisierung in der Darstellung, und andererseits die immer wiederkehrende Auseinandersetzung mit bestimmten Gegenständen.

Auch Alex Klein arbeitet in Serien. Er setzt sich über einen Zeitraum hinweg mit bestimmten Bildthemen auseinander und zieht aus jedem einzelnen Werk jeweils Konsequenzen für das nächste. Auch bei ihm stößt man immer wieder auf geometrische Formen, jedoch nur andeutungsweise, als Linien oder Kanten, die Teil einer geheimnisvollen, nicht konkret fassbaren aber doch klar wahrnehmbaren, schwebenden Räumlichkeit im Bild sind. Kleins Werke fordern die Augen heraus. Als ich zum ersten Mal eines seiner Bilder gesehen habe, hatte ich den Eindruck, durch eine Reihe durchsichtiger Vorhänge zu schauen, die den Blick auf den dahinterliegenden Raum verschleiern und zugleich aber der Raum SIND. Tatsächlich arbeitet Alex Klein auch ganz konkret mit lasierenden Farbschichten, die er der Reihe nach auf den Bildgrund aufträgt, und teils wieder abschleift, bevor die nächste Schicht kommt, mit der er genau so verfährt und immer so weiter. Bis zu 40 Schichten pro Bild sind es. Am Ende bleibt ein gewisses Flirren, eine Vielschichtigkeit (im wahrsten Sinne des Wortes), die Erinnerung des Papiers an das Material, das einmal da war und zugleich aber auch noch da ist. Und manchmal (wie im Falle der Serie oben) geht die Schichtung sogar noch über den Bildträger hinaus, werden darauf noch weitere Schichten aus transparentem Papier angeordnet.

Auch Kleins Werke sind im doppelten Sinne seriell. Man kann eine Serie ja auch im Sinne einer Reihe oder Reihenfolge verstehen. Und die Art, wie Klein mit dem Farbauftrag verfährt – der Reihe nach, immer wieder eine Schicht, dieses Überlagern und wieder Freilegen – möchte ich auch als serielles Arbeiten interpretieren.

Marie-France Goerens, Ausstellung "seriellll", ZS Art Galerie Wien, 2019. Foto: Stefan Seelig

Und – last but not least – zum Abschluss Marie-France Goerens. Ihre ausgestellten Serien sind formal weit weg vom strengen Formenkanon von Tonneke Sengers und Roland Goeschl. In der „Zerreißprobe“ geht es z.B. nicht um Exaktheit, sondern um die Suche nach der – man könnte sagen –  „eigenen“ Linie. Über den körperlichen Akt des spontanen Zerreißen des Papiers möchte sie zu ihrer persönlichen, authentischen Linie finden.

Auch in der anderen gezeigten Serie, „Train stories“, befasst sich Marie-France Goerens mit der Linie, bzw. mit ihrer Auflösung. Sie möchte, wie sie selbst sagt, „die Zeichnung von der Linie befreien“. Ihre Bleistift-Arbeiten sind Dokumente performativer Akte. Wir sehen hier Zugfahrten vor uns. Lange Zugfahrten. Von Wien nach Barcelona z.B.. Als der Zug losgefahren ist, hat Marie-France Goerens den Stift aufs Papier gesetzt und ihn erst wieder weggelegt, als der Ankunftsort erreicht war. Der Stift, die Hand, der Zug und ihre gemeinsame Bewegung haben die Bilder gezeichnet. Stille, einsame und unauffällige Performances waren es, die Marie-France Goerens da gemacht hat, und dabei doch unglaublich intensiv und kraftvoll. Die Ergebnisse sehen wir hier: Zeit und Bewegung bzw. 100 Stunden und 8000 km verdichtet auf neun kleine Tafeln.

Abgesehen davon, dass wir hier eine Serie von Arbeiten vor uns haben, hat für mich Zugfahren an sich etwas Serielles. Die rhythmischen Geräusche und Bewegungen, die aneinandergereihten Waggons, die Schienen und vor allem die Schwellen, auf denen die Schienen aufliegen.

Und das Bahnfahren an sich ist ja irgendwie ein serieller Akt, zumindest entspricht es allen Regeln des Serialität: Es bleibt immer etwas gleich und zugleich ändert es sich auch. Ich bewege mich und sitze doch still. Die Landschaft draußen ändert sich und bleibt doch vorbeiziehende Landschaft. Mein Standort ändert sich, aber ich bleibe ich selbst.

Vielleicht ist es ja auch das, was das Serielle für die Kunst so interessant und faszinierend macht: Nämlich, dass unser Leben in gewisser Weise auch seriell ist. Unser Alltag ist eine ständige Variation der gleichen Elemente, ein Wiederholen und Variieren, in dem wir uns zu Hause fühlen, aus dem wir hin und wieder aber vielleicht auch gerne ausbrechen würden. Und manchmal passiert was, da fällt ein oder gleich mehrere Elemente weg oder neue kommen dazu. Dann beginnen wir eine neue Serie.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, und wer weiß, vielleicht bringt er ja ein neues Element in ihre persönliche Serie!