Sigrid Friedmann

Kunstwerk Krastal, Kärnten

14. August 2020

Ich freue mich sehr, dass ich heute mit Ihnen ein wenig in das Schaffen von Sigrid Friedmann eintauchen darf. Die Ausgangsmaterialien ihrer Arbeiten bewegen sich im Grenzbereich zwischen Natur und Kultur. Im Werkzyklus „Fruchtkörper“ sind die Hauptakteure Früchte, in der Serie „Antikörper“ ist es die Haut und in der Installation „Raum lassen“ Totholz und Äste aus dem Baumschnitt. Alles Materialien, die man im ersten Moment eher der Natur als der Kultur zuordnen würde. De facto handelt es sich aber um vom Menschen kultivierte Natur, die er sich weitestgehend nutzbar gemacht hat: Obst und Früchte werden gezielt gezüchtet, angebaut, geerntet, haltbar gemacht. Allein die Bezeichnung „Nutzpflanze“ sagt schon alles.

Auch die Landschaft, wie wir sie in Österreich sehen, ist zum großen Teil Kulturlandschaft. Selbst der Beschluss, die Natur Natur sein zu lassen, ist ja schon eine Aneignung: Der Wald steht hier, weil der Mensch beschlossen hat, dass er hier stehen darf. Und sogar die Haut, die wir am Körper tragen, ist seit jeher vom Menschen mittels Kulturtechniken bearbeitetes Terrain. Sie wird eingecremt, geschminkt, gepierct, enthaart, gestrafft, unterspritzt, tätowiert, operiert. All diese auf den ersten Blick so natürlich scheinenden Materialien sind also vom Menschen manipuliert und kultiviert.

Foto: Internet

Sigrid Friedmann spinnt diesen Faden weiter. Sie eignet sich die zu Kultur transformierte Natur abermals an, hebt und wandelt sie zu Kunst. Sie kultiviert sie also noch eine Stufe weiter, von der Natur zur Kultur – und nun zu Kunst. Das gelingt ihr, indem sie die Ausgangsmaterialien künstlerisch manipuliert und dabei völlig neu interpretiert, aus den gewohnten Kontexten löst und neuen Formen und Strukturen zuführt. In allen Arbeiten erkennt man die Ausgangsmaterialien – es sind Dinge, mit denen wir täglich zu tun haben, ja, die wir sogar am Körper tragen. Die Grundstoffe der Werke sind sehr vertraut, man fühlt sich an etwas Altbekanntes erinnert, aber es hat neue Formen angenommen, die nicht zum Altbekannten passen. Die Haut hat den Körper verlassen, Früchte entwickeln ein dynamisches Eigenleben und wuchernde Organismen aus Totholz nehmen den Raum in Beschlag. Sigrid Friedmann interpretiert die Materialien um, sie enthebt sie ihrer eigentlichen Bedeutungen und Aufgaben und erfindet sie neu.

 

In der Serie „Fruchtkörper“ scannt Sigrid Friedmann gefrorene Früchte. Der technisch kühle und scheinbar objektive Scanvorgang wird für die Künstlerin zu einem sinnlichen, intuitiven Prozess: in völliger Dunkelheit (um einen schwarzen Bildhintergrund zu erhalten) legt Friedmann ihre Hände auf die eisigen Früchte und bewegt sie während des Scannens, „malt“ mit ihnen ein zu diesem Zeitpunkt unsichtbares Bild (das Ergebnis sieht sie jeweils erst im Nachhinein). Durch diesen Vorgang verleiht sie dem durch den Scanner abgenommenen Abbild der Früchte neue Formen und Strukturen. Das ursprünglich Abzubildende wird zum Abbildenden, zum Ausgangspunkt für etwas Neues.
Dabei kommt es zu einer doppelten Dynamik: durch die Verwendung gefrorener Lebensmittel wird im Scanvorgang nicht nur die Bewegung Friedmanns, sondern auch der Prozess des Auftauens, die Veränderung des Aggregatszustands, dokumentiert.

In der wörtlichen „Photo-Synthese“ zwischen den auftauenden Beeren, Friedmanns Bewegungen und dem Scanner werden die Himbeeren und Fisolen zu neuen, bisher unbekannten, originären (Frucht)körpern.

Ähnlich ist auch der Vorgang im Zyklus „Antikörper“, in dem das Ausgangsmaterial Haut ist. Friedmann thematisiert in der Arbeit den Jugendwahn, den Wunsch nach ewig glatter Haut, der in unserer durch das Optische dominierten Zeit wohl größer ist denn je. Botox ist – im wahrsten Sinne des Wortes – in bzw. über aller Munde, und wenn nicht das Nervengift, dann zumindest diverse Anti-Aging-Produkte. Der völlig natürliche Vorgang des Älterwerdens wird als Unmöglichkeit und Peinlichkeit empfunden und bringt der so genannten „Schönheitsindustrie“ volle Kassen. Boulevardblätter scannen die Haut von Promis nach Makeln ab, die dann groß in Szene gesetzt werden. Auch Sigrid Friedmann setzt in „Antikörper“ die Haut in Szene, nimmt einen Bodyscan der anderen Art vor. Wobei Bodyscan trifft es nicht ganz, eigentlich muss man sagen „Skinscan“, denn die Haut hat sich des Körpers entledigt.

Ach, könnte man die Haut doch abstreifen und in Frischhaltefolie packen, man könnte entspannt sein Leben leben und müsste sich keine Sorgen um Abnutzungserscheinungen, Pickel, Falten und Sonnenbrände machen. So wie manche Menschen ihre Polstermöbel stets in Plastik verpackt lassen, damit sie nicht schmutzig werden. Genau das macht Sigrid Friedmann in ihren Scanaufnahmen. In „Antikörper“ entwickelt die Haut ein Eigenleben, losgelöst vom Rest des Körpers und ihrer mannigfachen Körperregulationsaufgaben enthoben sowie von Umwelteinflüssen abgeschirmt, vegetiert sie frischgehalten im Schwarz des Scan-Kosmos vor sich hin. (Kosmos und Kosmetik haben im Übrigen den gleichen Wortursprung). (Tast)Sinnlos aber frisch!

 

Nicht nur in der Kultivierung von Natur zu Kunst, auch im Kontext der Kunstgeschichte vollzieht Sigrid Friedmann in ihrem Schaffen einen konsequenten Schritt. In der Kunst dienten Farben lange Zeit ausschließlich dazu, die sichtbare Welt abzubilden. Mit dem 20. Jahrhundert wurde den Farben ein eigener Status zugestanden. Sie durften auch Farbe an sich sein und wurden von der Aufgabe, ausschließlich abzubilden, gelöst. Mit der Fotografie schien dann die Objektivität zu kommen. Farbe darf Farbe sein, Realität wird fotografisch festgehalten. Friedmann führt nun die – ja nur scheinbare – Objektivität der Fotografie und die Farbigkeit der Malerei zusammen, sie dreht die Zuständigkeiten um. Haben die Maler früherer Jahrhunderte Früchte und Gemüse arrangiert, um sie dann mittels Pinsel und Farben auf der Leinwand abzubilden, so werden in der Werkreihe „Fruchtkörper“ die Früchte selbst zu Pinsel und Farben. Nicht die Farbe malt die Frucht, sondern die Frucht malt die Farbe?

Auch die naturgetreue Darstellung von Haut ist in der Kunstgeschichte seit der Antike ein großes Thema. Haut möglichst realitätsnah darzustellen galt und gilt als große Kunst, es gibt ja sogar einen eigenen Begriff für die gemalte Haut, nämich das Inkarnat. Hier bedient sich Friedmann beinahe frech der technischen Möglichkeit des Scannens, schwups ist das perfekte Inkarnat erstellt und wird vom ehemaligen Ziel zum Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeit. Die Haut malt aus sich selbst etwas Neues, eine andere Form der „Reinkarnation“ sozusagen.

Und nun noch zur Installation mit dem Titel „Raum lassen“, die sich in alles vorher gesagte nahtlos einfügt. Gestrüpp und Äste wuchern beim Fenster herein, umfangen und gerade noch gebändigt von Stoffbahnen,, in einer beinahe beängstigenden Kraft und Dringlichkeit. Auch hier eignet sich Sigrid Friedmann das Material wieder an, arbeitet mit ihm zusammen eine neue Erscheinungsform heraus, die wie ein eigenständiger, aus sich selbst heraus entstandener Organismus wirkt. Auch diesmal wird wieder nicht im klassischen Sinne der Werkstoff Holz mittels Schnitzen oder anderer Bearbeitungstechniken zu einer Abbildung geformt, sondern der Umgang mit dem Material wird neu interpretiert.

Der Titel „Raum lassen“ spielt auf das Ringen um Platz zwischen Mensch und Natur an. In seinem stets wachsenden Platzbedürfnis nimmt der Mensch immer größere Flächen ein, und was dann noch übrig ist an Natur, fällt oft wirtschaftlichen Bestrebungen – der menschlichen Gier – zum Opfer. Auch wenn – oder vielleicht gerade weil – der Mensch in Wirklichkeit viel kleiner und schwächer ist als die Natur, hat er aus den Augen verloren, dass man auch der Natur „Raum lassen“ muss. Der Klimawandel zeigt die Auswirkungen dieser verlorengegangenen Demut und wird uns hoffentlich noch rechtzeitig wieder zu Bewusstsein bringen, dass der Mensch die Natur zum Überleben braucht, ganz im Gegensatz zur Natur, die in keinster Weise vom Menschen abhängig ist. „Raum lassen“ bezieht sich also auf ein ausgewogenes Verhältnis, in dem der Mensch der Natur Raum lässt und seinen eigenen Platz darin mit Respekt, Maß und Ziel einnimmt. Genau so wie in Sigrid Friedmanns Installation, die man auch als Hommage an die Natur und ihre Anpassungsfähigkeit, ihre regenerative Energie und ihren steten Drang nach Wachstum sehen kann.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und einen schönen Abend!