3 Buchbeiträge
in: Tomas Hoke (Hg.), K/osmos/e. Tomas Hoke, Klagenfurt 2019, S. 12f., 306, 310.
Ich trete ein durch ein großes Tor in eine hohe, helle, weite Halle. Im Inneren stehen um den Eingangsbereich auf dem gekachelten Boden unzählige Tröge und Töpfe mit Pflanzen. Etwas schüchtern bewege ich mich durch den kalten, großen Raum auf eine kleine, geschwungene Metalltreppe mit Gusseisengeländer zu. Sie führt auf eine Zwischenebene, welche offen in den hintersten Teil der Halle eingezogen wurde. Mit jedem Schritt metallisch durch die Halle schallend steige ich die Treppe hinauf. Oben angekommen entdecke ich an einer der Seitenwände eine kleine Türe und öffne sie. Ich trete ein in einen vergleichsweise kleineren Raum, der von den Dimensionen her aber immer noch als Turnsaal für eine Volksschule durchgehen könnte. Doch Turnsaal ist das keiner, auch kein Tanzssaal, obwohl ein großer, den Raum reflektierender Spiegel an der Stirnwand das vermuten lassen könnte. Als ich an ihm vorbeigehe, beginnt er zu zittern und vibrieren. Auch sonst ist der Saal voll mit geheimnisvollen Artefakten: aus einer Wand wachsen der Schwerkraft scheinbar nicht unterworfene, zarte Konstruktionen aus leuchtenden Stäben. Metallisch schimmernde, in sich verknotete Riesenschlangen liegen am Boden, ihre in den eigenen Schwanz verbissenen Babies räkeln sich auf einem langen Tisch. An einer anderen Wand hängen Querschnitte von Gehirnen, und an der nächsten ein Bild einer Vulkanlandschaft, die sich im Vorbeigehen zu einer nackten Frau mit gespreizten Beinen wandelt. Daneben Bilder mit unzuordenbaren Sequenzierungen und wieder daneben große Tableaus mit quecksilbern glänzender Oberfläche, in die nicht entzifferbaren Zeichen geprägt sind. Zwei lange Tische säumen die Fensterwand, sie sind voll von Blättern mit (Bau-)Skizzen und Notizen, verschiedensten Zangen, Lötkolben, Messgeräten und anderen Werkzeugen sowie einer riesigen Lupe. In der Mitte des Saales steht eine ein großes, abweisendes Gebilde. Ein unzugänglicher, kleiner Zentralbau, bestehend aus vier im Quadrat aneinander geschraubten, zu Konchen gebogenen Metallplatten. Kühl, abweisend, technoid, zeigen sie mir sozusagen die kalte Schulter und machen neugierig, was sich wohl im Inneren dieses geheimnisvollen, unzugänglichen Raumes befindet…
Nein, ich befinde mich nicht in der Wunderkammer im Schloss eines Renaissancefürsten. Auch nicht in Versuchslabor eines auf die schiefe Bahn geratenen Wissenschaftlers oder im Lehrmittelraum von Schloss Hogwarts. Ich bin in Tomas Hokes Werkstatt in Berndorf.
Tomas Hoke ist ein homo ludens und macht die Betrachter/Benützer seiner Werke zu ebensolchen.
Denn Hokes Objekte stacheln Neugier und Forschergeist an und laden zu ihrer spielerischen Entdeckung ein. Der Betrachter gerät oft zum interaktiven Bestandteil des Werkes bzw. bringt dieses durch seine Interaktion erst zu seiner eigentlichen Erfüllung.
Tomas Hokes Haupt-Werkstoff ist Metall: Platten, Gewebe, Folien, Stangen, Röhren oder Drähte werden geschweißt, geschnitten, gebogen, gebürstet, verknotet, poliert, verspiegelt, geschliffen, mit Sensoren versehen, verbrannt, bedruckt, gelötet und/oder beleuchtet. Seine Objekte variieren vom „handlichen“ Schmuckstück bis zum 10 Meter großen Monument, von zarten Konstellationen über prekäre Installationen bis zu massiven Konstruktionen.
Die formale Vielfalt seines Œuvres reflektiert auch dessen inhaltliche Breite. Der Reichtum an Erscheinungsformen und Inhalten speist sich aus Hokes steter Neugier, den daraus resultierenden vielfältigen Interessensgebieten des Künstlers und seinem kreativen Drang, das Erfahrene/Entdeckte in immer neuen Formen umzusetzen. So kann es durchaus vorkommen, dass intellektuelle, philosophische, psychologische, neurobiologische und historische Themen in den Werken auffindbar sind bzw. mitschwingen, ohne jedoch, dass dies das erklärte Ziel des Künstlers gewesen wäre. Bei aller Vielfalt gibt es jedoch etwas, das Hokes Objekte gemeinsam haben: das oben schon beschriebene spielerische Moment und die Einladung an den Betrachter zur Interaktion.
Nehmen wir als Beispiel den eingangs kurz erwähnten, vibrierenden Spiegel namens „Bizarre Mirror“: Zuerst fällt der 142 x 260 cm große, an der Wand hängende Spiegel nicht dezidiert als Kunstwerk auf, sondern lädt – ganz im Sinne eines Spiegels – ein, sich selbst anzuschauen. Doch als ich an ihn herantrete, beginnt er zu schwingen, zu vibrieren. Je näher ich ihm komme, desto stärker und intensiver wird die Vibration, desto lauter und bedrohlicher die durch die Schwingung erzeugten, wummernden Geräusche und desto verschwommener das eigene, zitternde Spiegelbild. Als ich dann direkt davorstehe, mit dem Ziel, mich selbst möglichst genau anzuschauen, starre ich ängstlich in eine verzerrte Fratze. Ich interpretiere: Je näher ich dem Kern der Selbsterkenntnis komme, umso bedrohlicher/unheimlicher/schwieriger wird es, weiter hinzuschauen. Vielleicht ist es sicherer, wenn ich mich abwende – mir selbst besser doch nicht ZU nahe trete, bevor womöglich mein eigenes Bild von mir vor mir zerbricht? Mich dem Bizarre Mirror entgegenzustellen, ist eine körperintensive, unheimliche und zugleich aufregende Erfahrung. Die eigenen Umrisse werden unscharf, Details verwackeln, Form verschwimmt. Ich sehe aus, wie einem Horrorfilm entnommen, kurz bevor ich mich in ein Monster transformiere – bedrohliche wummernde Musikuntermalung inklusive. Zugleich fühlt es sich an, wie eine kindliche Mutprobe, der ich mich mit Eifer und Neugier dann doch immer wieder stellen möchte – irgendwie macht es halt dann doch zuviel Spaß, um es nicht immer wieder auszuprobieren…
Einhorn 2018
Seit etwa 2010 gibt es einen Einhorn-Hype. Das Einhorn ist ein absolutes In-Tier bzw. Mode-Fabelwesen geworden, was wohl insbesondere den Handel freut bzw. ihm überhaupt zu „verdanken“ ist. Mach‘ ein Produkt, wo ein Einhorn drauf ist und es wird sich verkaufen, inkl. Einhorn-Preisaufschlag. Dazu muss gesagt werden, dass diese Strategie in den letzten Jahren auch auf andere Tiere angewendet wurde. Jede Saison ein neues In-Tier, das hält den Konsum am Leben. Faultiere können es von der Dauer ihrer Beliebtheit beinahe schon mit den Einhörnern aufnehmen; wie es sich mit den Flamingos und Lamas verhält, bleibt abzuwarten.
Das Einhorn muss natürlich gewissen Kriterien entsprechen, um verkäuflich zu sein. Und so hat das Fabeltier eine große Transformation durchgemacht. Vom geheimnisvollen, eleganten, beinahe unberührbaren Wesen, gleichermaßen stark wie zart, kaum je gesehen, zu einem knuffigen Kuscheltier mit Glubschaugen. Das moderne Einhorn ist flauschig, etwas patschert und mollig, hat ein weißes Fell, rosa Hufe, regenbogenfarbene Mähne und Schwanz, das Horn ist weiß, rosa oder gold. Das Einhorn braucht Glitzer um sich und ist alles andere als unberührbar – es liebt alle, kuschelt gerne und hat herzig-lustige Sprüche auf Lager. Im Handel gibt es Einhorn-Patschen, -Häferln und -Haarreifen, Einhorn-Kostüme für Erwachsene, Kinder und Hunde. Es gibt Einhorn-Duschgel, Einhorn-Zahnpasta, Einhorn-Klopapier und Einhorn-WC-Steine. Kriterien für die Einhorn-Tauglichkeit sind lediglich, dass das Produkt regenbogenfarben oder rosa und/oder glitzernd sein muss. So wird rosa Fruchtsaft als „Einhorn-Kotze“ verkauft, buntgefärbte Frühstückszerealien als „Unicorn Frootloops“ und violett gefärbte Kekse als „Einhornkacke“. Was für ein Start in den Tag: mit Einhorn-Kacke und Einhorn-Kotze, und dann noch ein Kaffee aus dem Einhorn-Häferl mit einem schönen Einhorn-Spruch drauf: „Ich bin die Königin Einhörner: Mein Pipi ist pink, ich pupse Schmetterlinge und rülpse Sternenstaub“ – oooooh, wie süüüüüß!
Tomas Hokes Einhorn stammt eindeutig aus einer anderen Einhorn-Epoche. In seiner riesenhaften Größe und Stämmigkeit entspricht es allerdings auch nicht so ganz den jahrtausende-alten Einhorn-Fabeln. Es ist ein eigenständiges Einhorn, ein Hoke-Einhorn. Hokes Einhorn ist nicht versteckt und verborgen, es ist eindeutig sichtbar. Es steht auf Stahlbeinen und hat ein riesiges bedrohlich-spitzes Horn am Kopf, mit dem es Richtung Eberndorf weist, dessen Wappen es entsprungen ist. Die einzige Gemeinsamkeit, die Hokes Einhorn mit den heutigen Mode-Einhörnern hat, ist ein gewisser Glitzer: Rumpf, Kopf und Horn aus glimmer-beschichtetem Stahl schimmern im Sonnenlicht. Hokes Einhorn ist jedoch nicht kuschelig und anschmiegsam, es ist kalt und hart. Es galoppiert nicht verträumt und herzig durch den Regenbogen-Himmel, es ist eine Wegmarke, standhaft und unverrückbar. Es wirkt so dauerhaft wie seine Legende. Am Aufstellungsort lange umstritten, ragt es nun seit fast 20 Jahren am Verteilerkreis vor Eberndorf über 6 Meter hoch in den Himmel, nickt seinen Befürwortern wie Gegnern zu. Den einen eine Trophäe der Kunst (und ihrer Durchsetzer)? Den anderen ein(-)Horn im Auge? Bleibt nur noch die Frage, warum Eberndorf im Wappen eigentlich ein Einhorn und nicht einen Eber hat? Vielleicht hält sich der ja noch im Bauch des Trojanischen Einhorns versteckt….
In seiner Arbeit „Europa“ nimmt Tomas Hoke Bezug auf den Entstehungsmythos unseres Kontinents: Eine phönizische Prinzessin namens Europa hat es dem Göttergott Zeus angetan. Um das junge Mädchen nicht zu verschrecken und auch, um seine (zu Recht) eifersüchtige Frau Hera zu täuschen, verwandelt sich Zeus, um Europa zu verführen, in einen wunderschönen, schneeweißen Stier mit blauen Augen und glitzernden Hörnern. In dieser Form nähert er sich Europa, als sie gerade am Strand von Sidon spielt. Sie ist fasziniert von dem schönen Tier und als sie auf seinen Rücken klettert, nützt Zeus die Chance und entführt sie. Er schwimmt mit ihr durch das Meer bis nach Kreta, eine Insel, die Teil eines bisher unbekannten Kontinents ist, den Zeus daraufhin nach der schönen Europa benennt. Auf die Entführung folgt die Verführung, aus der im Endeffekt insgesamt drei Söhne entstehen – die ersten Europäer.
Der Name sowie die Bevölkerung unseres Kontinents gehen also – laut Mythos – auf eine phönizische Prinzessin zurück. Wo war Phönizien eigentlich? „Phönizien ist die Bezeichnung eines schmalen Landstreifens an der östlichen Mittelmeerküste auf dem Gebiet der heutigen Staaten Israel, Libanon und Syrien.“ Was für eine Ironie der Geschichte. Einst entführte der höchste aller Götter ein arabisches Mädchen von einem libanesischen Strand nach Griechenland (- Zeus und Europa waren wohl die ersten, die über die Mittelmeerroute kamen…) und benannte einen ganzen Kontinent nach ihr. Auf ihrer (wenn auch nicht ganz freiwilligen) Überfahrt musste sie keine Angst vor dem Ertrinken haben – auf dem unsinkbaren Rücken des Göttervaters und noch dazu als Enkelin des Poseidon. Die heutigen, weltlichen Transportmittel der Landsleute Europas, die aus Krieg, Not und Verzweiflung über das Mittelmeer nach Griechenland flüchten, sind alles andere als sicher und viele erreichen das europäische Festland nie. Allein für ihren Versuch, nach Europa zu gelangen, werden sie schon kriminalisiert, ebenso wie jene, die sich für ihre Rettung vor dem Ertrinken einsetzen. Und ist die Überfahrt geschafft, ist es noch lange nicht zu Ende mit den Strapazen. Die Nachfahren der Phönizier, die Generationen später versuchen, ihr Leben in Europa zu retten, sind hier vielerorts nicht willkommen, gelten als zu fremd und anders, werden in ihrer Gesamtheit als „Problem“, „Krise“ oder „Welle“ tituliert, die die Staatengemeinschaft Europa ins Wanken bringt.
Der eifersüchtige Zeus hatte seiner Geliebten Europa drei Geschenke gemacht: Einen Speer, der immer trifft, einen äußerst schnellen und bissigen Hund und einen Bronzemann, der ständig die Stadtmauer umkreiste, um Invasoren abzuhalten. Vielleicht wirken Zeus‘ Geschenke bis heute nach in der „Festung Europa“.
Mit ihren Hörnern, ihren starken, klaren Formen und der hell glänzenden Oberfläche ist Hokes Europa-Skulptur eine Referenz an den europäischen Entstehungsmythos. Doch der Künstler will nicht nur den Kontinent als mythisches Konstrukt, loses Staatengefüge oder geographische Einheit thematisieren, sondern auch die (vergleichsweise erst kürzlich) daraus erwachsene Europäische Union als gesamtpolitisches Gefüge. Die Einheit von Hörnern und Block, die wie aus einem Guss sind, und die Stärke, die das Material ausstrahlt, können als sinnbildlich für den europäischen Zusammenhalt gelesen werden. Außerdem wirft Hoke einen optimistischen Blick in die Zukunft der EU: Mehr als je 40 Lichtpunkte an den Seiten des Objekts stellen als imaginäre Landkarte die europäischen Städte dar und symbolisieren ein wachsendes, dichtes Netzwerk einer florierenden Gemeinschaft. 2002, als das Kunstwerk entstand, waren 15 Staaten Mitglied der EU, heute zählt die Union 28 Mitgliedsstaaten. Insofern bestätigte das Wachstum der EU bis vor Kurzem Hokes positives Sinnbild, blieb jedoch noch weit entfernt davon, wirklich über 40 Mitgliedsstaaten zu zählen. Zusätzlich knirscht es seit Kurzem gewaltig im Staatengefüge, zumindest einer der Lichtpunkte wird bald erlöschen, bei manchen anderen muss man zumindest einen Wackelkontakt befürchten. Es bleibt zu hoffen, dass Hokes Skulptur Recht behalten wird.