Vier Buchbeiträge
über die Künstler: Thomas Reinhold, Richard Tuttle, Manfred Wakolbinger und Felix Waske
in: HL Museumsverwaltung GmbH (Hg.), Museum Liaunig. Zeitgenössische Kunst II, Neuhaus 2015, S. 234, 310, 316, 322
Geb. 9. Juni 1953, Wien
Lebt in Wien
Das Hauptthema von Thomas Reinholds Arbeiten ist seit jeher ihr eigenes Medium, die Malerei. In den Bildern, die während seiner Studienzeit von 1974 bis 1978 an der Universität für angewandte Kunst in Wien bei Herbert Tasquil und bis in die 1980er Jahre entstanden, geschah diese Auseinandersetzung noch vorwiegend mit figurativen Mitteln. In „ikonographischen Verwicklungen“, wie er selbst sie nannte, beschäftigte er sich mit der Gegenständlichkeit des Abbilds, mit mythologischen Bildinhalten, ikonographischen Aspekten und Zitaten aus der Kunstgeschichte. Seine Reflexionen über die Malerei hatten den Fokus auf ihre eigene Geschichte und Tradition, es waren künstlerisch-kreative Auseinandersetzungen vor einem historisch-intellektuellen Hintergrund. Zu dieser Zeit, Ende der 1970er Jahre, studierten die Neuen Wilden an der Akademie.
Mitte der 1980er Jahre verließ Reinhold die gegenständliche Malerei und fand zu der Bildsprache, mit der er sich bis heute ausdrückt. Die dem Medium ureigensten Aspekte von Farbe und Material, Fläche und Komposition rücken in den Mittelpunkt des Diskurses. Auf mitunter großformatige Leinwände werden (mit Terpentin stark verdünnte) Ölfarben neben- und teilweise übereinander gesetzt und gezielt zum Verrinnen gebracht. Durch die so entstandenen Schichtungen von durchscheinenden und opaken Farbflächen kommt es zu einer Räumlichkeit im Bild, einem Davor und Dahinter, das zugleich auch eine zeitliche Komponente ins Spiel bringt: Anhand des Darüber und Darunter der verschiedenen Farbflächen wird die Arbeit des Malers, der Entstehungsprozess des Werks und die dabei verstrichene Zeit für den Betrachter nachvollziehbar. Aus der Zeit, die das Schaffen des Bildes für den Künstler in Anspruch nimmt, wird für den Betrachter der Bildraum, anhand dessen die Prozessualität der Malerei sichtbar gemacht wird. Zeit und Raum verschmelzen zu einer Dimension.
Mit beinahe wissenschaftlichem Eifer webt Reinhold seine Bild- und Farbkompositionen. Dabei wird auch die Gegensätzlichkeit von Planung und Zufall erprobt. Die relative Unkontrollierbarkeit der verrinnenden Farben steht im Kontrast zu den exakt konstruierten (und mit Kohle vorgezeichneten) Bildaufbauten Reinholds. Eigentlich wird nichts dem Zufall überlassen, aber dann ist da doch der Nervenkitzel, dem Material, der Farbe, eine gewisse Eigenständigkeit zuzugestehen. Es ist gewissermaßen ein Spiel mit dem Zufall, mit der Aufgabe von Kontrolle unter Laborbedingungen.
Auch wenn die Malerei, bzw. wahrnehmungsphilosophische Aspekte der Malerei, das Hauptthema von Thomas Reinhold sind, so beschränkt sich sein künstlerisches Schaffen nicht auf Ölfarbe und Leinwand. Er ist ein spartenübergreifender Künstler, der seine Beschäftigung mit Zeit(lichkeit), Raum (Ort) und Wahrnehmung auch auf andere Medien ausdehnt. So entstand etwa 2010 während eines dreimonatigen Stipendiums in Shanghai die Fotoserie „Malendes Licht, Lebende Schatten“. Auch gestaltete er Glasfenster für mehrere Kirchen (1999 für die „Chapelle de la Résurrection“ in Brüssel, 2008 für die gotische Kapelle der Kirche von Hausmannstätten bei Graz).
2011 erhielt Thomas Reinhold den Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst.
Geb. 12. Juli 1941, Rahway New Jersey (USA)
Lebt und arbeitet in New York City und Santa Fe (New Mexico)
1975 führte Tuttles Einzelausstellung im Whitney Museum of American Art noch zu Entrüstungsstürmen von Presse und Publikum – und zur Entlassung der zuständigen Kuratorin Marcia Tucker (sie gründete daraufhin übrigens das New Museum of Contemporary Art in New York, das sie bis 1999 erfolgreich leitete). Heute, fast 40 Jahre später, pilgern Kunstfreunde weltweit zu Tuttles Ausstellungen in den wichtigsten internationalen Museen, Publikum und Presse überschlagen sich vor Begeisterung und zählen ihn zu den einflussreichsten und wichtigsten Künstlern unserer Tage.
Allen Kontroversen und Anfeindungen zum Trotz blieb Tuttle all die Jahre seiner Linie treu. Obwohl das Gros seiner Werke sich in den dreidimensionalen Raum erstreckt, zieht es Tuttle vor, von ihnen als „Zeichnungen“ zu sprechen. Mit großer Zuneigung zum Material setzt er Objekte aus Sperrholz, Draht, Papier, Farbe, Karton, Schnur, Stoff und verschiedensten anderen Werkstoffen zusammen. Er kreiert eine luftige Welt der Inspiration, der Lust am Ausprobieren, am Sehen, am Spielen. Viele seiner Skulpturen und Zeichnungen sind so klein oder fein, dass man sie beinahe übersehen könnte, auch wenn in den letzten Jahren zusehends auch größere Werke entstehen (beispielsweise für die Turbinenhalle der Tate Modern Gallery). Trotzdem wird Tuttles Formensprache nie pompös oder bombastisch, sie bleibt verspielt und zugleich ruhig und intensiv, zeugt mehr von neugierigen Versuchen als von Heldenhaftigkeit. Abgesehen davon lässt sich die wahre Größe von Tuttles Werken ohnehin nicht in Zentimetern ermessen.
Tuttles Kreativität und Neugier enden nicht an den Grenzen seiner Skulpturen und Bilder. Seine Ausstellungen gestaltet er wo möglich selbst, hängt seine Werke nur selten wie gewohnt in Augenhöhe, sondern weit höher oder niedriger, stellt sie in unscheinbare Ecken, lehnt sie bäuchlings an Stiegenaufgänge und fordert den Ausstellungsbesucher damit heraus. Will man Tuttles Kunst entdecken, so muss man das Auge für Ungewohntes öffnen, genau hinsehen, sich manchmal auf die Zehenspitzen stellen oder auf allen Vieren am Boden kriechen. Damit will Tuttle den Betrachter jedoch keineswegs seiner Kunst unterwerfen, viel mehr ist es ein Versuch, den Geist (seinen eigenen und den des Betrachters) offen zu halten.
Auch seine Ausstellungskataloge gestaltet der Amerikaner am liebsten selbst, und so hat schon so mancher Kunstfreund einen Katalog im Ausmaß von 30 x 90 cm und 8 Kilo Gewicht nach Hause geschleppt – voll kindlicher Vorfreude darauf, was in diesem Riesenbuch wohl alles verborgen sein mag.
Tuttles Œuvre lässt sich nur schwer einem „-Ismus“, einer stilistischen Schublade, zuordnen (am ehesten noch dem „Postminimalismus“, wie Harald Szeemann 1977 bei der documenta VI feststellte). Doch darum geht es Tuttle auch gar nicht. Im Gegenteil, sein Ziel ist, sich möglichst vom Intellekt zu befreien, zu Gunsten der puren kreativen Energie. Tuttle ist zutiefst von der positiven Kraft der Kunst überzeugt, und davon, dass das Erleben von Kunst für jeden möglich und bereichernd ist: „I just think that people who have art in their lives have better lives“, sagt er – insofern könnte man sein Schaffen auch als einen Akt der Nächstenliebe interpretieren.
Geb. 6. Nov. 1952, Mitterkirchen OÖ
Freitag, der 4. Oktober 1957: Die Bewohner des 1500 Seelen-Dorfes Mitterkirchen – unter ihnen auch der fast 5-jährige Manfred Wakolbinger – haben sich auf der Straße versammelt, um gemeinsam in den Himmel zu starren und vielleicht einen Blick auf „Sputnik“, den ersten künstlichen Satelliten, zu erhaschen. Um 16 Uhr passiert er Österreich, hat es in den Nachrichten geheißen. Gesehen hat ihn allerdings niemand, auch wenn man noch so genau geschaut hat.
Obwohl – oder vielleicht gerade weil – Manfred Wakolbinger damals nicht sehen konnte, wie der Satellit die Atmosphäre durchschnitt, brannte sich dieses kollektive Erlebnis in sein Gedächtnis ein und stellt für ihn heute rückblickend eine „Initiation“ dar, den Anfangspunkt seiner Faszination für den (Welt-)Raum.
„Sputnik“ hat ihn seither nicht mehr verlassen, ist – ganz seinem Namen entsprechend[1] – ein steter Begleiter Wakolbingers geworden. So benannte er eine Werkserie nach dem russischen Erdtrabanten, aber auch andere Titel für seine stets in Serien entstehenden Arbeiten zeugen von seinem Interesse am Außerirdischen („U.F.O.“, „Forces“, „Galaxies“ und „Travellers“).
Auch ohne Titel würden Wakolbingers Objekte wohl an extraterrestrische Wesen oder Artefakte denken lassen, seine Auseinandersetzung geht jedoch weit über Klein-Bubenträume von Aliens und Raumschiffen hinaus. In seinen Skulpturen spielt das Thema Raum eine (im wahrsten Sinne des Wortes) tragende Rolle. Wie verändert sich der Raum durch einen in ihn gesetzten, gelegten, gestellten oder gehängten Körper und umgekehrt, wie verändert sich der Körper durch den ihn umgebenden Raum? Was ist Innen und was Außen, was ist Leere, was ist Fülle, was ist Inhalt und was Hülle? Ist der Raum das Objekt, oder die den Raum/die Leere umgebende Hülle?
Wakolbingers Skulpturen sind subtile Gedankenspiele zu diesen und ähnlichen Fragen. Kupfer ist ihm dabei ob seiner elementaren Reinheit und Wärme, seiner fleischigen Farbe und auch seiner einfachen Bearbeitbarkeit zum favorisierten Arbeitsmaterial geworden. Wakolbingers Objekte sind oft in sich gegensätzlich, wenn beispielsweise vegetabile, organische Formen scharfkantig und exakt gelötet sind, oder in Materialzusammenstellungen roher Beton oder glatte, harte Glasplatten mit weich glänzendem, gebogenem oder geschwungenem Kupfer kombiniert werden.
Manfred Wakolbinger ist ein Reisender. Wenn er schon nicht das Weltall bereisen kann, so zumindest unseren Welt-Raum, dessen entlegenste Winkel er auf ausgedehnten Reisen besucht. Und er hat einen geheimnisvollen, scheinbar unendlichen Raum für sich entdeckt: Das Meer. Die Tiefe und Schwerelosigkeit der Unterwasserwelt und ihre mysteriösen Bewohner inspirieren Wakolbinger zu Film- und Fotoarbeiten, in denen Salpen (Meerestiere) zu Galaxien umgedeutet und Luftblasen zum idealen Anschauungsmaterial für die Fragen nach Innen und Außen, Raum und Hülle werden.
Darüber hinaus agiert Wakolbinger in einem weiteren unermesslichen Raum, dem virtuellen Raum. Er kreiert virtuelle Skulpturenmodelle, die er dann (überlebensgroß) in Aufnahmen realer Landschaften setzt – sie quasi auf Reisen schickt – und dabei beobachtet, was für Wechselwirkungen sich aus diesen Verpflanzungen ergeben („Placements“).
Und zuletzt ist es auch der Öffentliche Raum, in dem eine Reihe von Objekten Wakolbingers mit ihrer Umgebung in Beziehung treten, den Raum verändern und durch ihn verändert werden.
[1] „Sputnik“ (Спутник) bedeutet auf Russisch „Weggefährte“, „Begleiter“.
Geb. 28. Mai 1942, Wien
Lebt in Wien und auf Ibiza
Zeit, Ruhe, Langsamkeit und Genauigkeit – dies sind wohl vier unabdingbare Faktoren für das Entstehen von Waskes zeichnerischen Universen. Die ersten drei davon fand er spätestens auf Ibiza, wo er ab 1967 für ein Jahrzehnt lebte. Und die Genauigkeit, die gepaart mit einem langen Atem zur Geduld wird, scheint eine von Waskes Grundeigenschaften zu sein.
Unzählige Schichten von feinen waagrechten, senkrechten, diagonalen, langen und kurzen Linien und Strichen bedecken seine Blätter und geben ihnen Tiefe. Dieser „Linienspiegel“ ist jedoch nicht überall gleich dicht. Es gibt dunklere und hellere, dichtere und lichtere Zonen, die in orthogonalen Formen klar voneinander getrennt sind. Aus diesem Schraffurengrund, diesem Liniennebel lösen sich Gestalten, Fabelwesen, Mutanten, Ungeheuer. Unheimlich, wie sich manche nur schemenhaft in der Dunkelheit abzeichnen und andere, um die sich der Nebel ein wenig gelichtet hat, uns ihre Fratzen und deformierten Körper entgegenstrecken. Mit Waskes Bildern ist es, wie mit dem Sternenhimmel: Je länger man hinschaut, desto mehr sieht man.
Manchmal wünscht sich das Auge (oder wohl eher die Psyche) des Betrachters, der Nebel, die Dunkelheit möge sich lichten, so dass man in aller Klarheit sieht, mit wem und wie vielen man es zu tun hat. Doch wenn man dann Waskes Radierungen gegenübersteht, in denen er aufgrund der Technik auf das dichte Lineament verzichtet, wünscht man sich den Nebel beinahe zurück – so genau will man es dann vielleicht doch nicht wissen, was für Unwesen im Unbewussten ihr Unwesen treiben.
Denn es ist unbewusst, was Waske darstellt. „Ich denke sehr wenig darüber nach, was ich mache“, sagt er und überlässt das Kommando seiner Hand. Automatisch zeichnet sie vor sich hin – sie ist ein Seismograph des Unbewussten, ein Berichterstatter aus einer verborgenen Welt. Vom Ergebnis ist auch Waske stets überrascht und steht ihm ähnlich beängstigt, interpretierend, ratlos oder auch amüsiert gegenüber, wie jeder andere Betrachter. Es sind zwar Albtraum-, aber immerhin doch Traumwelten, in die der Zeichner sich und uns ver- und entführt, die durch ihre Sichtbarmachung vielleicht schon einiges von ihrem Schrecken verlieren und so manche, wenn auch verstörend aussehende Gestalt doch liebenswert erscheinen lassen. Einigen davon mag Waske schon während seiner Studienzeit hin und wieder begegnet sein, in Hieronymus Boschs Weltgerichtstryptichon an der Akademie der Bildenden Künste, wo er 1958 bis 1967 bei Prof. Max Weiler studierte (und übrigens zeitgleich auch bei Prof. Eduard Bäumer an der Universität für Angewandte Kunst).
Neben der Zeichnung ist, wie schon erwähnt, die Radierung eine von Waskes favorisierten künstlerischen Ausdrucksformen. Seit 1966 arbeitet er auch in dieser Technik, seit 1975 zusammen mit einem kongenialen Partner, dem Kunstdrucker Kurt Zein. Zahlreiche Kunstbücher mit Zeichnungen, Radierungen, aber auch Fotografien, die für Waske seit seiner Studienzeit eine wichtige Rolle spielen, zeugen von seiner Liebe zum Medium Buch.