Gabriele Lucie Freudenreich: ein Porträt

Künstlerinnenporträt

2016

Ich habe mir folgende Aufgabe gestellt: wähle drei Worte aus, um die Inhalte von Gabriele Lucie Freudenreichs Kunst möglichst kompakt und dabei doch umfassend zu beschreiben. Sofort waren sie ganz klar da, die drei Begriffe: 

Kommunikation, Korrelation, Korrespondenz.

 

Dass sie alle mit dem Präfix „Ko-“ beginnen, hat mich selbst überrascht – ist zugleich aber Beweis für die Kohärenz (…wieder ein Wort mit Ko-) im formal so vielseitigen Werk Freudenreichs. Nach einem überprüfenden Blick ins Wörterbuch würde ich die Vorsilbe „Ko-“ gar als Essenz von Freudenreichs Kunst vorschlagen: vom lateinischen con bzw. com abgeleitet, steht sie für alles, was mit „zusammen, miteinander“ zu tun hat.

 

Und genau dieses Miteinander, das Zwischeneinander, dieses Zusammenhängen und Wechselwirken ist es, was sich wie ein roter Faden durch Gabriele Lucie Freudenreichs Œuvre zieht:

Wie funktioniert zwischenmenschliche Verständigung? Was wird in ihr transportiert, und wie? Wie formt das (Zusammen-)Leben den/die Menschen? Wie beeinflusst der Lebensort die Biographie? Wie wirkt die Arbeit auf den Körper und auf den Geist – und umgekehrt?

 

 Um diese und ähnliche Fragen kreist Freudenreichs Schaffen und nimmt dabei verschiedenste Formen an – von Rauminstallation über Zeichnung, Performance, Video- und Audioinstallationen.

G.L. Freudenreich in ihrer Wohnung mit Kanister und Kater 2017

„Machen Sie eine typische Handbewegung!“ lautete eine Aufforderung aus der legendären Quizshow „Was bin ich? – das heitere Beruferaten“. In ihrer Arbeit Anpassungen hat Gabriele Lucie Freudenreich Antworten auf diese Frage in Latex gegossen. Das Ergebnis: Handschuhe in bestimmten Haltungen, die involvierte Werkzeuge und Prozesse erahnen lassen. Und Betrachter, die diese leeren, gegossenen Handbewegungen wiederum nachahmen, sich in die anderen Hände hineinversetzen (ein Effekt, der durch die theoretische Möglichkeit verstärkt wird, sich diesen leeren Handschuh anzuziehen, sich die Hand, den Beruf, das Leben eines anderen überzustülpen). Die Künstlerin beschäftigte dabei die oben schon erwähnte Korrelation zwischen Arbeit und Körper: Welchen Einfluss hat es auf einen Körper, wenn er im Arbeitsprozess immer wieder die gleiche Bewegung wiederholen muss? Was geschieht mit der dazu notwendigen Muskulatur, mit den Synapsen, die im Gehirn dazu notwendig sind (das „Syn-“ der Synapsen ist übrigens das griechische Äquivalent zum lateinischen „con“)? Wie korrespondiert das, was das Außen tut mit dem, was sich im Inneren tut? Wie korrelieren Werkzeug und Körperteile? Wie kommunizieren Gehirn und Muskulatur? Wie formt die Arbeit unser Leben und unseren Geist, und wie formen Leben und Geist die Arbeit?

 

Ausgehend von diesem Interesse daran, wie das Leben den Körper formt und umgekehrt, hat Freudenreich ihre ganz eigene Art von Skulptur entwickelt: Die Lebensskulptur. Das sind Porträts, die durch Zuhören entstehen. Freudenreich spricht mit Menschen. Sie stellt ihnen Fragen zu ihrem Leben, lässt sie reden, hört ihnen zu. Kommunikation. Die aufgezeichneten Interviews schneidet sie zu Antworten zusammen, die dem Publikum in Installationen zugänglich gemacht werden. Mit Kopfhörern ausgestattet wird man Ohrenzeuge der Lebensgeschichten von Menschen, die man noch nie gesehen hat und doch gleich sehr intim kennenlernt in diesem inneren Raum, der durch die Audioinstallation kreiert wird. Dort ist es auch, wo die Skulptur des Porträtierten entsteht: im Inneren jedes einzelnen Zuhörers. Freudenreichs Lebensskulpturen sind keine mimetischen Abbildungen. Es sind umfassendere, ganzheitlichere Bildnisse von Menschen, die darüber berichten, wie das Leben sie geformt hat und wie sie ihr Leben geformt haben. Abstrakte Skulpturen über das Innere, die sich wiederum im Inneren jedes Zuhörers neu formieren.

Freudenreichs Arbeiten sind dabei nicht laut und aufgeregt, sondern ruhig und intim. Ihre Porträtierten sind keine Stars, sie erzählen nicht (nur) von den Höhepunkten und Abgründen ihres Lebens. Aus Freudenreichs Arbeiten spricht ihre Liebe zum Menschen an sich, die Liebe zum Leben.

In unserer schnelllebigen, sensationsgeilen Zeit, die sich durch Selbstbezogenheit (Selfie) und zugleich ständige Ablenkung von uns selbst (Internet) auszeichnet, stellen Freudenreichs Lebensskulpturen eine – von ihr nicht intendierte – Herausforderung dar. Sie zu erfassen, sie zu „sehen“, erfordert Tugenden, die heute rar sind: Geduld, Empathie, Ruhe, Konzentration, Interesse für andere. Und sie erfordern ein Gut, das oft nur allzu knapp erscheint: Zeit. Freudenreichs Arbeiten brauchen Zeit – in ihrer Herstellung genau so wie in ihrer Rezeption. Wer ihnen diese Zeit schenkt, wird belohnt: Mit (Zwischen-)Menschlichkeit, mit Lebensgeschichten und –strategien, mit feinen Zwischentönen und stillen Details. Und mit dem Gefühl, Zeit zu haben.

 

Auch in ihrer neuesten Werkserie Annäherung an einen Dialog spielt das „Ko-“ gleich auf mehreren Ebenen eine Rolle. Erstens ist es eine Kooperation – eine gemeinschaftliche Arbeitsweise, wie sie in Freudenreichs Schaffen immer wieder vorkommt. Gabriele Lucie Freudenreich und die in Düsseldorf lebende Künstlerin Beate Hansen tauschen sich über ihr „Leben am Fluss“ aus – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht um die Flüsse, die durch den jeweiligen Lebensort der Künstlerinnen fließen: Die Donau in Wien und der Rhein in Düsseldorf. In Briefen korrespondieren die beiden Künstlerinnen via Zeichnungen, Fotografien und Texten über die Ströme, die durch Jahrhunderte maßgeblich auf das Leben in der Stadt eingewirkt haben, die aber selbst auch durch die Stadt und ihre Bewohner geformt wurden. Diese gegenseitige Wechselwirkung und Beeinflussung – man könnte auch Kommunikation sagen – spiegelt sich in der Arbeitsweise der beiden Künstlerinnen wider, die an den einander wechselseitig zugeschickten Bildern jeweils konzentriert und respektvoll Veränderungen vornehmen, sie weiter formen und gestalten. Es ist ein Transformationsprozess, der immer wieder Neues hervorbringt, ohne jedoch das Alte zu negieren. So wie das Wasser, das die Donau und den Rhein herunterfließt, immer ein neues ist, die Flüsse aber bleiben die alten.