in: Agnes Husslein-Arco/Harald Krejci/Clara Kaufmann (Hg.), Mehr als ZERO. Hans Bischoffshausen und die Galerie Hildebrand
(Kat.Ausst. Belvedere, Wien, 2015/2016), Wien 2015, S. 70-191
Die Geschichte der Galeriearbeit von Ernst und Heide Hildebrand lässt sich in drei Phasen gliedern, die sich durchaus stark voneinander unterscheiden und durch räumliche oder personale und strukturelle Veränderungen gekennzeichnet sind. Diese Unterschiede manifestieren sich auch im jeweils geänderten Namen der Galerie:[i] Am Beginn (Phase eins) stand die »Galerie Wulfengasse 14«, wie sie von ihrer Gründung 1961 bis zu ihrem Umzug 1966 hieß. Es folgte Phase zwei, die »Galerie Heide Hildebrand« im neuen Ausstellungslokal in der Wiesbadener Straße, die bis zum Ausscheiden der namensgebenden Galerieleiterin 1971 andauerte. Nach einem Jahr Pause konstituierte sich 1973 der Verein »Arbeitskreis Galerie Hildebrand«, der weitere elf Jahre lang in Klagenfurt tätig war (Phase drei). 1984 schloss die Galerie Hildebrand endgültig ihre Pforten. Diese drei Phasen und somit über zwanzig Jahre Galerie- und Kunstgeschichte sollen im Folgenden ausführlich behandelt werden.
[i] Die Bezeichnung »Galerien Hildebrand« bzw. »Galerie Hildebrand« fungiert dabei im vorliegenden Text als Überbegriff für die Galerie in allen drei Phasen.
Phase eins, 1961–1965
Galerie Wulfengasse 14: Die Gründung einer Avantgardegalerie in der Provinz
Im Mai 1961 eröffneten Heide[i] und Ernst Hildebrand in Klagenfurt die Galerie Wulfengasse 14, deren Programm von vornherein auf radikale Moderne und Avantgarde ausgelegt war.[ii]
Bereits mit 15 Jahren, also 1956, als Schülerin am Realgymnasium Ursulinengasse, hatte Heide ihren ersten Freund und späteren Ehemann, den Architekten Ernst Hildebrand, kennengelernt. Anders als Heide war er in einem kunstaffinen Elternhaus aufgewachsen – sein Vater war Rudolf Hildebrand, ein österreichischer Architekt, der in Prag wirkte, seine Kinder von klein auf mit Kunst und Künstlern zusammenbrachte und auch selbst immer wieder Werke kaufte. Um 18 Jahre älter als Heide, hatte Ernst zum Zeitpunkt des Kennenlernens bereits ein Architekturstudium in Graz und fast sechs Jahre Praxis bei Architekt Hermann Baur in Basel hinter sich. Durch seine Arbeit in dem Schweizer Architekturbüro war er mit Hans Arp und Alfred Manessier in Kontakt gekommen,[iii] von Letzterem kaufte er seine erste Druckgrafik – Ernsts erster Schritt auf dem Weg zum Sammler. 1956 ließ er sich in Klagenfurt nieder, machte sich erfolgreich als Architekt selbstständig und traf die Kärntner Künstler Hans Bischoffshausen[iv] und Anton Tschauko, mit denen ihn bald eine enge Freundschaft verband. Durch den Kontakt zu den beiden Malern wurde nicht nur das Sammeln zur Leidenschaft,[v] sondern auch der Künstler-Freundeskreis ständig erweitert. So lernte Heide als Teenager durch den Mann, in den sie sich verliebt hatte, Kunst und Kreativität einer ganzen Reihe von jungen Kärntner Künstlern aus nächster Nähe kennen. Die gemeinsamen Jahre und Freunde prägten das Kunstverständnis von Heide und weckten ihre Leidenschaft, ließen Inspiration, Tatendrang und Elan sprießen. Oder, wie es Grete Misar 1964 in einem mehrseitigen Zeitungsartikel über die Galerie ausdrückte: »Was ihr Gatte als Interesse wecken wollte, begann in dem künstlerisch aufgeschlossenen und tatendurstigen Mädchen zu wuchern und wurde zum Wunsch, aktiv an dem Kunstgeschehen beteiligt zu sein.«[vi]
1959 heiratete das kunstsinnige Paar, im selben Jahr kam die gemeinsame Tochter Céline zur Welt. Doch Heide fühlte sich zu mehr als einer Karriere ausschließlich als Hausfrau und Mutter berufen. Zuerst war da nur die Idee der Hildebrands, den Künstlerfreunden eine Ausstellungsmöglichkeit zu bieten: »Die Galerie ist eigentlich aus einem sehr persönlichen Prinzip entstanden. Wir waren damals schon mit einer ganzen Reihe von jungen Künstlern bekannt, die noch keinen Rahmen hatten, in dem sie ausstellen konnten. Und da […] entstand der Gedanke, eine kleine Galerie aufzumachen, die ursprünglich nur für die Ausstellungen unserer Freunde gedacht war.«[vii]
Der Gedanke sollte die beiden nicht mehr loslassen. Sie begannen, die zuerst so klein und privat gedachte Idee mit wachsender Ernsthaftigkeit zu verfolgen. Immer gründlicher wurden Informationen eingeholt, immer profunder die Auseinandersetzung, immer konkreter der Plan.[viii] Heide reiste durch ganz Österreich, um sich mit Fachleuten auszutauschen, Kontakte zu Künstlern zu knüpfen und die Galerie auf einer professionellen, durchdachten Basis zu gründen.
Im Frühling 1961 war es dann so weit. Das Konzept stand, der Raum war geschaffen, das Programm bestimmt. Nach intensiven Vorbereitungen ließen die Hildebrands nun ihren Wunsch Realität werden.
Der Name der Galerie ergab sich aus ihrer Adresse, der Wulfengasse Nummer 14, in der man in ein Kellerlokal hinabsteigen musste, um zur Kunst zu gelangen – wie der Abstieg in die Hölle der modernen Kunst mag es vielleicht so manchem Besucher vorgekommen sein. Die Ortswahl war aus praktischen Gründen gefallen: Das Haus gehörte Heide Hildebrands Mutter, der Kellerraum stand, nachdem er im Krieg von ihrer Großmutter bewohnt worden war, leer und somit zur kostenlosen Verfügung.[ix] Ernst Hildebrand adaptierte den Kellerraum zum Ausstellungsraum, in dem neben dunkelgrau gestrichenen Wänden eine Bruchsteinwand nackt stehen gelassen wurde.[x] Zeitungsberichte lobten nicht nur die Atmosphäre der kleinen Galerie, hervorgehoben wurden auch besonders die »überzeugende Hängung«[xi] der Werke und deren »vielfältige gezielte Beleuchtung«[xii], in der »jedes Werk so präzise zur Geltung [kommt], als wäre es allein im Raum und Mittelpunkt«[xiii]. Das stimmige Ambiente konnte anscheinend so manchen Antimodernisten sogar für die gezeigte Kunst entschädigen – so liest man im Echo: »Klein, aber direkt gemütlich, fühlt man sich in eine Welt versetzt, die nicht nur eine Kleinigkeit unter der Erdoberfläche, sondern in einer beziehungslosen und isolierten Zeit zu liegen scheint. Dieser Keller hat Atmosphäre, ganz gleichgültig, ob man vor diesen ausgestellten Werken nun bewundernd, staunend, zweifelnd oder auch ablehnend wütend steht.«[xiv]
Aufgrund der Unbeheizbarkeit des Ausstellungsraumes im Souterrain war der Galeriebetrieb von vornherein auf die wärmere Jahreszeit beschränkt.[xv] Die Galerie Wulfengasse 14 war von Anfang Mai bis Ende September[xvi] täglich außer Sonntag von 17 bis 20 Uhr bei freiem Eintritt zu besuchen. Zu den Öffnungszeiten betreute stets Heide Hildebrand selbst die Räumlichkeiten und das Publikum. Der Ausstellungsturnus betrug unglaublich kurze zwei bis drei Wochen, sodass in den ersten fünf Jahren trotz der saisonbedingten Schließzeit insgesamt 31 Ausstellungen stattfanden.
Am 12. Mai 1961 um 20 Uhr öffnete die Galerie Wulfengasse 14 erstmals ihre Pforten. Die Eröffnungsausstellung 10 Jahre Bischoffshausen entsprach voll der ursprünglichen Intention, befreundeten Künstlern eine Plattform zu bieten.[xvii] Darüber hinaus war Hans Bischoffshausen ein wichtiger »Geburtshelfer«[xviii] und Wegbegleiter bei der Gründung der Galerie gewesen. Die umfassende Korrespondenz zwischen den Hildebrands und Bischoffshausen,[xix] der kurz zuvor nach Paris übersiedelt war,[xx] bezeugt die Rolle des Malers im Vorfeld der Galeriegründung und auch in den darauf folgenden Jahren. In unzähligen Briefen vermittelte Bischoffshausen Kontakte zu Galeristen, Künstlern und möglichen Käufern, brachte sich mit Ideen zu sämtlichen Themenbereichen – von Ausstellungsstrategien bis zu Öffnungszeiten, von Beleuchtungssystemen bis zu Wechselrahmen und Sitzgelegenheiten – ein.
Die Bischoffshausen gewidmete Eröffnungsausstellung der Galerie Hildebrand, zu der dieser mit Rat und Zuspruch nicht unmaßgeblich beigetragen hatte, präsentierte in einem Überblick dessen Entwicklung von gegenständlichen Werken in Anlehnung an den Kubismus und Paul Klee über tachistische Versuche und Farbkompositionen hin zu ersten strukturellen Arbeiten (Materialarbeiten und Fossile Reliefs). Auch ein erstes monochromes Relief war in der Ausstellung zu sehen, wie einem Bericht in der Kleinen Zeitung zu entnehmen ist: »Jüngst ist Bischoffshausen aber dazu übergegangen, mit kleinen, reliefartigen Elementen Energieströme und Kräftefelder darzustellen; auch hierfür gibt es ein eindrucksvolles Beispiel in der Ausstellung.«[xxi]
Insgesamt war das Interesse der Lokalmedien an der Vernissage[xxii] groß – Neue Zeit, Heute, Kleine Zeitung, Volkszeitung, Kärntner Landeszeitung und Echo berichteten teils ausführlich von dem Ereignis, bei dem sich auch lokale Prominenz blicken ließ.[xxiii]
Zum Wunsch, befreundete Künstler zu fördern, ihnen eine Ausstellungsmöglichkeit zu bieten und ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen, kam bald das Anliegen, über die neuesten Kunstströmungen in ganz Europa zu informieren. So setzte sich das Programm der Galerie Wulfengasse 14 aus jungen österreichischen Künstlern, denen in der Galerie oft eine erste Chance geboten wurde, und internationalen Gruppenausstellungen zusammen.
[i] Heute tritt Hildebrand stets unter dem Vornamen »Heiderose« auf, damals, zur Zeit der Galeriegründung, nannte sie sich jedoch »Heide«, was auch aus der Namensbezeichnung der Galerie in ihrer zweiten Phase »Galerie Heide Hildebrand« hervorgeht. Im vorliegenden Text wird sie stets so erwähnt, wie sie sich selbst zum betreffenden Zeitpunkt genannt hat.
[ii] Vgl. Heiderose Hildebrand, »Du dort in der sechsten Bank …«, in: KIGRO – Kulturinitiative Rosegg (Hg.), Kunst an der Grenze, Klagenfurt 2006, S. 68.
[iii] Für die von Baur geplante und umgesetzte Allerheiligenkirche in Basel (1951) sowie für die Marienkirche in Olten (1953/54) entwarfen Manessier und Arp jeweils Glasfenster und Taufbecken.
[iv] Hildebrand hatte Bischoffshausen 1958 in Venedig bei dessen durch Lucio Fontana vermittelter erster Einzelausstellung in der Galleria del Cavallino kennengelernt (E-Mail von Ernst Hildebrand an die Autorin vom 11.6.2015).
[v] Die beiden ersten Ölbilder, die er erwarb (beide im Jahr 1959), waren von Tschauko und Bischoffshausen.
[vi] Grete Misar in Kleine Zeitung, Nr. 287, 12.12.1964, S. 12.
[vii] Zit. nach Misar 1964 (wie Anm. 8).
[viii] Spätestens ab Herbst 1960 nahm der Beschluss der Galeriegründung konkrete Formen an; vgl. Brief von Heide Hildebrand an Hans Bischoffshausen vom 4.11.1960, in: Hans Bischoffshausen, Briefe an die Familie Hildebrand 1959–1987 (Werkausgabe Bd. VI), Klagenfurt 2009, S. 25.
[ix] Vgl. Misar 1964 (wie Anm. 8).
[x] De facto waren es zwei gleich große Räume (je ca. fünf mal fünf Meter), die jedoch in diesem Text (wie auch in den damaligen Zeitungsberichten) als ein Ausstellungsraum wahrgenommen werden. Insgesamt umfasste die Galerie also ca. fünfzig Quadratmeter.
[xi] Elisabeth Pablé in Die Furche, Nr. 36, 1962, o. S.
[xii] Echo, 17. Jg., Nr. 22, o. D., S. 7.
[xiii] Echo o. D. (wie Anm. 14).
[xiv] Echo o. D. (wie Anm. 14).
[xv] Hans Bischoffshausen bezeichnete sie in diesem Zusammenhang als »Sommer-Galerie«; Brief von Hans Bischoffshausen an Heide Hildebrand vom 27.11.1960, in: Bischoffshausen 2009 (wie Anm. 10), S. 31.
[xvi] Eine Ausnahme bildete das Eröffnungsjahr 1961, in dem bis 24. Dezember durchgehend Ausstellungen stattfanden.
[xvii] Sie war wohl auch eine Art Danksagung an Bischoffshausen, der Heide im Vorfeld der Gründung intensiv unterstützt und beraten hatte.
[xviii] Ernst Hildebrand in einem E-Mail an Harald Krejci vom 24.6.2014.
[xix] Nachzulesen in Bischoffshausen 2009 (wie Anm. 10).
[xx] Im November 1959 war Bischoffshausen mit dem Geld des Joanneumspreises zu einer »Visite« nach Paris gefahren, von der er erst 1971 wieder zurückkehren sollte.
[xxi] Dr. Schmitz in Kleine Zeitung, 14. Jg., Nr. 109, 14.5.1961, S. 12.
[xxii] In der Ankündigung zur Eröffnung in der Neuen Zeit beansprucht die Erklärung des Wortes »Vernissage« ein Drittel des Artikels, woraus zu schließen ist, dass die steirische und die Kärntner Leserschaft des sozialistischen Blattes bis dahin nicht viel Gelegenheit gehabt hatte, an derlei Veranstaltungen teilzunehmen; vgl. Neue Zeit, 11.5.1961, o. S.
[xxiii] So werden Hofrat Dr. Rudan, Hofrat Prof. Dr. Moro, der Präsident des Kunstvereins, Arch. Nitsch, Frau Dr. Springschitz und Dr. Milesi vom Landesmuseum »sowie mehrere Künstler« erwähnt; vgl. Schmitz 1961 (wie Anm. 23).