Künstlerinnenporträt: Andrea Pernegr

Künstlerinnenporträt

Oktober 2019

Betrachtet man Andrea Pernegrs Bilder mit einem analytischen Blick, so würde man wohl denken: Das ist Abstraktion par excellence, so sieht ungegenständliche Malerei aus. Mit dem ersten Teil der Analyse würde man richtig liegen, mit dem zweiten jedoch falsch. Denn es gibt zwischen den Begrifflichkeiten „abstrakt“  und „ungegenständlich“ einen grundlegenden Unterschied, der sich allerdings in der kunsthistorischen Sprache zu einem einzigen großen Ganzen zusammenverwischt hat (auch wenn die Suprematisten und Konstruktivisten z.B. noch großen Wert darauf legten, keine abstrakte sondern ungegenständliche Kunst zu produzieren).

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„Abstraktion“ bedeutet nämlich eigentlich: von einem Gegenstand ausgehend diesen immer mehr (auf bestimmte Elemente oder das „Wesentliche“) zu reduzieren (lat. „abstrahere“: abziehen, entfernen). „Ungegenständlich“ bedeutet jedoch – wie sich aus dem Wort leicht ablesen lässt – von KEINEM Gegenstand auszugehen.

 

Nun aber zurück zu Andrea Pernegr, deren Bilder zwar abstrakt, dabei aber zutiefst gegenständlich sind, auch wenn man es ihnen auf den ersten Blick nicht unbedingt ansieht (was abstrakte Werke nunmal so an sich haben können). Denn Andrea Pernegr geht in ihren Arbeiten IMMER von der sichtbaren Welt aus. Es sind IMMER Gegenstände, die im Mittelpunkt ihrer Arbeiten stehen, von deren Form und (Bedeutungs-)Inhalt ausgehend die Künstlerin Bilder und Geschichten spinnt. Sie widmet sich den Dingen des täglichen Gebrauchs, denen wir im Normalfall keine besondere Aufmerksamkeit schenken, die uns jedoch ein Leben lang begleiten und deren Anblick und Verwendung unseren Alltag prägen: das Bett, der Sessel, der Tisch, das Küchensieb, die Kaffeekanne, der Mixer… – oder im Außen: die Straßenlaternen, Strommasten und -leitungen, Bäume, Blumen, der Garten… Für Pernegr sind es heimelige Gegenstände, die auf eine unaufgeregte, unpathetische Art Geborgenheit, Schutz und Heimat ausdrücken. Und tatsächlich: könnte man nicht sagen, dass (zumindest in unserem Kulturkreis) unsere Dinge nicht auch irgendwo unsere Heimat sind? Haben wir nicht alle neben unseren menschlichen Freunden und Familienmitgliedern auch eine Familie der Dinge, sehr nahestehende, intime Gegenstände und weniger nahestehende, die uns unauffällig und stetig durch unser Leben begleiten? In seinem „Lob der Lauheit“ setzt sich Philippe Garnier genau mit diesen Dingen auseinander: „In seinen eigenen Möbeln leben: Man darf nicht nur seinen Sessel, seinen Schrank, seine Matratze lieben, man muss auch seine Lieblingswörter lieben, seine Sprachmarotten, seine gewohnten Fehler, seine Phobien, seine Ohnmacht.[1] (S.7) und  „Wenn man ein Elektrogerät (…) einschaltet, fühlt man sich für eine Weile umsorgt und von einer sicheren Hand zu einem im Voraus bekannten Ziel geführt. (…) Das ist ein Augenblick zerstreuten und glücklichen Wartens (und vor allem eine wunderschöne Form der Gleichgültigkeit). Auge in Auge mit seiner vertrauten Maschine fühlt der Benutzer sich im Recht.“[2]

 

Andrea Pernegr setzt sich – ähnlich wie Garnier – mit diesen Dingen auseinander, mit den Gefühlen, die sie in uns auslösen, die aber vom Alltag so übertönt werden, dass wir uns darüber gar keine Gedanken machen, ja sie nicht einmal richtig bemerken. Aber wenn man mal drauf achtet: Wie schön ist es, auf seinem gewohnten Sessel zu sitzen. Wie gut kennt man sein Küchensieb, dessen Haptik, Farbe und Form. Was für ein Luxus ist das eigene Bett? So wenig Beachtung wir diesen Alltagsgegenständen normalerweise schenken, wären sie plötzlich nicht mehr da, würden wir sie schmerzlich vermissen.

 

Andrea Pernegr lässt die Dinge auf sich zukommen. Sie wählt ihre Sujets nicht nach intellektuellen Standpunkten aus, ihre Vorgehensweise gleicht mehr der eines Kindes, das die Dinge malt, die es um sich sieht. Es ist kein Zufall, dass Pernegrs Bilder auch stilistisch mitunter etwas Kindliches an sich haben. Denn Zeichnen und Malen stellen in Pernegrs Leben von Kindheit an stabile Konstanten dar, treue Begleiter, mit denen sie sich einen gut behüteten und gehegten Unterschlupf aus Papier und Farbe geschaffen hat, in den sie sich jederzeit wieder hineinzeichnen kann. Der Stift in ihrer Hand zieht eine direkte Linie zum inneren Kind, zieht sie hinein in Geschichten und Phantasien, die – ganz einfach – mit den Dingen beginnen. Pernegr kehrt immer wieder zu ihnen zurück, in ausführlichen Serien geht sie ihnen auf den Grund (wie es ja auch Kinder tun – immer und immer wieder werden die gleichen Dinge/Blumen/Bäume/Tiere gezeichnet). Ein einfacher (?) Gegenstand genügt ihr als Vehikel in eine Welt aus Phantasie und Inspiration – Andrea im Wunderland…

 

[1]     Philippe Garnier, Lob der Lauheit, München 2019, S. 7.

 

[2]     Ibid. S. 12.